Jedes Jahr, wenn langsam Weihnachten näher rückt, höre ich die Frage wieder öfter: „Was wünscht Du Dir zu Weihnachten?“. Oder: „Was könnten wir denn dem dieser oder jenem zu Weihnachten schenken?“. Und die Werbung weiß dazu sowieso etliche Antworten. Die nahezu alle mit materiellen Gütern zu tun haben. Also mit noch mehr vom Wohlstandsmüll, den so gut wie niemand braucht.
Zum Glück bin ich mit immer mehr Menschen aus meinem Umfeld an dem Punkt, auf das sinnbefreite, weil materiell fokussierte Schenken zu verzichten. Stattdessen gibt es zum Beispiel Schrottwichteln. Alle bringen verpackt etwas schönes von sich zuhause mit, dass sie selbst nicht mehr brauchen. Schön eingepackt. Und dann wird gelost und jeder bekommt zufällig ein Päckchen. Danach darf getauscht werden. Und allermeist, ganz ohne neuen Konsum, sind alle zufriedener als vorher.
Ein für mich noch schönerer Ansatz ist „Zeit statt Zeug“ zu verschenken. Diese einprägsame Formulierung habe ich vor ein paar Jahren durch eine gleichnamige Kampagne kennengelernt. Und Nanna Beyer, eine der Personen die hinter der Idee stehen, hat mir jetzt ein paar Fragen dazu beantwortet.
Interview mit Nanna Beyer von Zeit statt Zeug
Michael Hartl: Um was geht es bei „Zeit statt Zeug“?
Quelle: Scholz & Volkmer
Nanna Beyer: Zeit statt Zeug ist eine Non-Profit-Geschenkeplattform, die aufgebaut ist wie ein gewöhnlicher Web-Shop. Doch statt den üblichen Zeug-Geschenken finden Nutzer auf unserer Plattform alternative und völlig kostenfreie Zeitgeschenke: Dann heißt es beispielsweise „Zoobesuch statt Stofftier“ oder „Waldluft statt Parfüm“.
Dabei geht es uns vor allem darum, den Menschen zu zeigen, worüber sich ihre Liebsten am meisten freuen. Nämlich nicht über Geschenke, sondern über gemeinsam verbrachte Zeit. Insbesondere in der Vorweihnachtszeit, wo alle langsam anfangen durchzudrehen und sich Gedanken über Weihnachtsgeschenke machen, sagen wir: Weg von den Dingen, hin zu gemeinsam verbrachten Momenten!
Michael Hartl: Wer steht hinter der Idee?
Nanna Beyer: Hinter der Idee von Zeit statt Zeug steht Scholz & Volkmer, eine digitale Kreativagentur aus Wiesbaden – und allen voran Michael Volkmer, der Gründer und Geschäftsführer der Agentur. Er ist derjenige, der das Thema Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung fest in der Agenturstrategie verankert hat und regelmäßig hausinterne Projekte, wie etwa Zeit statt Zeug, anstößt. Betreut werden diese Projekte dann von unserem CSV (Creating Shared Value) Team.
Quelle: Scholz & Volkmer
Das schöne am Schenken ist doch die Aufmerksamkeit, die gemeinsame Zeit
Michael Hartl: Warum braucht es aus Eurer Sicht diesen Ansatz, lieber Zeit statt Zeug zu verschenken?
Nanna Beyer: Es gibt zwei sehr gute Gründe, warum jeder von uns statt Dingen lieber gemeinsam verbrachte Zeit verschenken sollte: Zum einen ist in der heutigen Konsumgesellschaft der Kerngedanke des Schenkens, nämlich die Aufmerksamkeit und Wertschätzung für unsere Liebsten, quasi nicht existent. Wir verschenken häufig Überflüssiges, weil wir glauben, dass das eben der Sinn des Schenkens sei. Doch wenn wir einmal in uns gehen, stellen wir fest, dass uns nicht das fünfte Parfüm oder die sechste Halskette fehlen und glücklich machen. Es sind vielmehr die gemeinsamen Erlebnisse, die wir mit unseren Familien und Freunden teilen. Zeit statt Zeug soll seinen Nutzern genau das klar machen und sie zu Geschenkideen fernab von Zeug-Geschenken inspirieren.
Quelle: Scholz & Volkmer
Der zweite Grund, der für Zeit statt Zeug spricht, ist zwar weniger idealistisch, dafür aber von existenzieller Bedeutung für uns alle: Führt man sich beispielsweise mit dem Earth Overshoot Day vor Augen, dass wir als gesamte Menschheit bereits im August diesen Jahres das Budget, das die Natur für uns bereit hält, aufgebraucht haben, wird deutlich: Aus ökologischer Sicht leben wir über unseren Verhältnissen. Wir brauchen weniger Konsum, denn der bestimmt, was hergestellt wird und welche Rohstoffe für die Produktion verbraucht werden. Und das bedeutet, dass wir unsere Konsumgewohnheiten grundlegend verändern müssen – auch indem wir darüber nachdenken, ob wir das, was wir kaufen, überhaupt brauchen. Allein in Deutschland werden beispielsweise ¼ aller Lebensmittel weggeschmissen und 1/3 unserer Kleidung bleibt ungetragen im Schrank. Das ist verrückt, schadet der Umwelt und am Ende eben auch uns allen.
Jetzt NANU-Mitglied werden!
Du unterstütz damit dieses auf positive Ansätze ausgerichtete Projekt einer Gruppe von Akteur*innen des Wandels, die es lieben, Artikel, Podcasts und Videos rund um Wandel-Themen zu produzieren. Lasst uns gemeinsam ein Sprachrohr aufbauen für Ideen, Projekte und Menschen, die den Wandel vorwärtsbringen.
Kurz gesagt: Zeit statt Zeug schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir schenken unseren Lieben und uns selbst eine gute Zeit und unserer Umwelt muten wir dadurch weniger Konsum zu. Eine Win-win-Situation, wie wir finden.
Michael Hartl: Wie läuft das Ganze ab, wenn ich ein Geschenk toll finde?
Nanna Beyer: Wenn du auf unserer Plattform ein Geschenk gefunden hast, das dir gefällt und das du gerne jemandem schenken würdest, kannst du es ganz einfach als E-Card verschicken. Hierfür musst du nur deinen Namen und den Namen des Empfängers eintragen, ein Datum sowie eine Uhrzeit festlegen und eine kurze persönliche Nachricht hinzufügen. Dann einfach deine E-Mail Adresse und die des Empfängers eintragen und schon ist das Geschenk auf dem Weg. Und solltest du einmal keine passenden Geschenke auf unserer Plattform finden, auch kein Problem. Denn du hast auf Zeit statt Zeug auch die Möglichkeit, ein eigenes Zeitgeschenk mit individuellem Bild anzulegen und zu verschenken.
Quelle: Scholz & Volkmer
Nicht nur einen Zeit statt Zeug Gutschein schenken, sondern auch erfüllen!
Michael Hartl: Warum muss ich beim Versenden der „ecard“ Datum und Uhrzeit angeben?
Nanna Beyer: Wir von Zeit statt Zeug wollen, dass jedes Zeitgeschenk mit einem verbindlichen Termin verschickt und verschenkt wird. Für die Nutzerinnen und Nutzer heißt das: sie müssen sich wirklich Gedanken darüber machen, wann sie Zeit haben oder sich Zeit nehmen wollen, um mit der beschenkten Person etwas zu unternehmen. Das schafft Verbindlichkeit und macht unsere Zeit-Geschenke nicht zum x-ten Gutschein, der in irgendeiner Schublade verschwindet – sondern zu einem Erlebnis, das auch wirklich stattfindet.
Quelle: Scholz & Volkmer
Michael Hartl: Zu welchen Überlegungen wollt ihr die Menschen mit dem Projekt anregen?
Nanna Beyer: Wir wollen, dass sich die Menschen mit ihren Konsumgewohnheiten auseinandersetzen und die Frage stellen, was ihr Leben wirklich wertvoll und glücklich macht. In unseren Augen sind das eben nicht Dinge und Kommerz, sondern Erlebtes und Erlerntes. Diesen Gedanken möchten wir mit Zeit statt Zeug weitertragen und möglichst vielen Menschen ins Bewusstsein rufen.
Wenn Du Lust hast auf ein paar Ideen hast, auf welche Weise Du Zeit statt Zeug verschenken kannst, lass Dich auf der Website der Kampagne inspirieren!
Ich finde auch, dass wir viel zu viel Kram besitzen und mehr Zeit verschenken sollten. Ich habe neulich ein paar Coupon-Vorlagen gebastelt. Die kann man ausfüllen und verschenken. Beispielsweise für einen Kinobesuch. Die kann sich jeder kostenlos hier runterladen
https://www.ecomonkey.de/magazin/minimalismus/zeit-statt-zeug-11-ideen-fuer-geschenke/
Ich sehe es spätestens bei meinen Großeltern immer wieder. Die haben ohnehin alles und wünschen sich gar nichts mehr. Und ich denke mir dann, dass ich sie ja vll auch gar nicht mehr so lange habe. Dann macht es noch mehr Sinn, Zeit miteinander zu verbringen.
Hallo Michael,
danke, dass es dich gibt und dass du mir Zeit mit „Selbstversorgen“ schenkst. Dankeschön, ich bin nicht alleine. Lass uns weiter gemeinsam Zeit schenken,
barfüßige Grüße aus Saarbrücken,
Volker
Gute Idee. Wir schenken schon seit einer Weile nur mehr Zeit-Geschenke mit wenigen Ausnahmen bei denen wir wissen, dass die Leute auch wirklich eine Freude damit haben und davon ist das meiste selbstgemacht (Feuerschalen etc.). In einer Zeit wo sowieso schon jeder alles hat und sich viele auch alles selber leisten können, ist es schwierig etwas sinnvolleres und auch wertvolleres als Zeit zu schenken.
Leider scheint Zeit zu schenken vielen aber zu mühsam oder einfach zu wenig zu sein. Meine Schwiegermutter meint auch seit 2 Jahren sie müsste auf das Thema Nachhaltigkeit bei ihren Geschenken achten. Für uns geht da der Schuss leider nach hinten los. Sie kauft nur noch Handgemachtes von Weihnachtsmärkten (oft auch nur scheinbar handgemacht, mit einem Pickerl „made in China“ drauf). Vieles ist dann leider Ramsch. Wir haben nun schon das 4. Stiftehaltertier aus Ton daheim :-D da wäre mir ein Kochlöffel aus Holz wesentlich lieber, wenn es schon was Materielles sein muss.
Grüß dich Michael,
Das mit der Zeit ist im Mainstream sogar auch schon angekommen, siehe Edekawerbung auf You Tube.
Liebe Grüße
Dieter
Hallo Dieter,
ja, das stimmt! Irgendwie haben dieses Jahr glaube ich schon drei große Firmen das Thema in ihren Weihnachts-Filmchen.
Das ist wirklich eine coole Idee gegen vorherrschenden Kommunismus. Fast ein bisschen provokant so ein Zeit-Shop, aber das meine ich ganz im positiven, konstruktiven Sinne!