Van Bo Le-Mentzel: Der Karma-Ökonom

Oder das Selbstexperiment: Arbeite bedingungslos für jede*n ehrenamtlich.

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Von Tobi Rosswog
18. Juli 2016

Und schon wieder gibt es ein inspirierendes und diesmal vielleicht auch auf den ersten Blick ein wenig kreativ-irritierendes Interview im Vorfeld der Utopie-Ökonomie-Konferenz UTOPIKON. Diesmal mit Van Bo Le-Mentzel, der auch einen Workshop geben wird. Falls Du das vorherige Interview über eine ganz andere Form des Wirtschaftens noch nicht gelesen hast, kannst Du dort die Antworten von Friederike Habermann lesen.

Ansonsten gehts jetzt auch schon los:

TR: Lieber Van Bo, wie wunderbar, dass Du Dir Zeit genommen hast: Stell Dich doch bitte kurz vor.

Van Bo Le-Mentzel: Meine Biografie in 140 Zeichen (ein Versuch):

1977 Flucht aus Laos – Asyl in D – Graffiti in West Berlin – Architekturstudium – Stuhl gebaut in VHS – in Frau verliebt – Hartz IV Möbel erfunden – Karma Chakhs gegründet – tinyhouse University eröffnet – geheiratet – 2x Existenzgründer: Sohn 3 Jahre, Tochter 5 Monate – Unbefristeten Job gekündigt – Herausgefunden, dass auf einem kugelförmigen Planeten kein Ost und West geben kann – Selbstexperiment: Arbeite bedingungslos für jeden ehrenamtlich. Seitdem voll arm. (Lacht)img_4684

Was ist ein Karma-Ökonom!?

TR: Du bezeichnest Dich als Karma-Ökonom – was meinst Du damit?

Van Bo Le-Mentzel:

Ein normaler Ökonom versucht, das Bruttosozialprodukt zu steigern, ein Karma-Ökonom versucht gutes Karma für sich und seine Mitmenschen zu produzieren.

TR: Und: Du hast 2015 ein #dScholarship als das erste demokratische Stipendium gestartet und bekommen. Was ist das?

Van Bo Le-Mentzel: Naja, das ist plump ausdrückt ein ziemlich unverschämtes Projekt: ich habe mir ein bedingungsloses Grundeinkommen von 200 Menschen finanzieren lassen, damit ich kein Geld verdienen muss.

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Der kreativ-inspirierend-irritierende-neue-Wege-gehende Professor Van Bo Le-Mentzel

TR: Im gleichen Jahr bist Du als Gastprofessor an die Hochschule für bildende Künste in Hamburg gerufen worden. Du hast allen Student*innen im Vorraus eine 1,0 gegeben und Dein Professorengehalt an sie weitergegeben. Warum hast Du das gemacht?

Van Bo Le-Mentzel: Naja, wer arbeitet an einer Uni wirklich? Die Professorinnen und Professoren oder die Studierenden? Und wem nützt das produzierte Wissen wirklich, den Unis für ihr Renommé oder den Studierenden? Ich denke, dass es nur fair ist, wenn man diese Ambivalenzen und damit einhergehenden Machtgefälle hinterfragt. Das kann man auf vielfältige Weise tun. Ich habe mich an Joseph Beuys orientiert, Deutschlands bedeutsamsten Konzeptkünstler der Nachkriegszeit und habe versucht mich selbst in Frage zu stellen.

Beuys sagte auch, dass alle Menschen Künstler seien. Damit macht er sich selbst zu einem von vielen.

TR: Auf der UTOPIKON gibst Du einen Workshop unter dem Titel „Der Kleine Professor – 7 Utopien, die ich von meinem Sohn über das Leben gelernt habe.“. Magst Du uns ein paar erste Einblicke geben – was hast Du von ihm gelernt?derkleineprofessor

Van Bo Le-Mentzel: Oh, diese 7 Utopien sind Auszüge aus einem Buch, an dem ich gerade schreibe. Das Buch ist noch nicht fertig geschrieben, aber wer mag kann mir auf Facebook quasi in Echtzeit beim Schreiben über die Schulter schauen. Sehr beliebt ist die Erkenntnis, dass wir Wohnanalphabeten sind. Was ich aber auch durch meinen Sohn gelernt habe, ist, dass Eigentum die Voraussetzung fürs Teilen ist. Das war mir als Open Source und Commons-Kämpfer neu. Alle Texte kann man auf der Facebook-Seite des Buches kostenfrei lesen und kommentieren.

Häää?! Eigentum als Voraussetzung fürs Teilen …

TR: Eigentum als Voraussetzung fürs Teilen … Wie meinst Du das?

Van Bo Le-Mentzel: Mein Sohn lehrte mich, dass man ja nur teilen kann, was man hat. Wenn man die Idee des Besitzens nicht kennenlernen darf, wird einem das dogmatische Teilen als Eingriff in die Persönlichkeit aufgefasst. Die Kunst ist es also, sich selbst möglichst als Miteigentümer*in der Welt zu sehen, dann kann man auch die Welt teilen.

TR: Ein spannender Gedanke, den wir auf der UTOPIKON dann gerne weiter diskutieren können. Warum bist Du denn bei der UTOPIKON mit dabei?

Van Bo Le-Mentzel: Naja, du hast mich halt gefragt und da ich nun ja für jeden arbeite, komme ich auch zu Euch (lacht laut). Im Ernst: ihr macht vieles so, wie ich es mir wünsche. Es gibt keine Jury oder Aufnahmevoraussetzung für die Teilnehmer*innen, sondern ein Losverfahren. Das ist doch genial! Stell Dir vor, das Los würde entscheiden, wer in die Unis darf oder nach Europa, wie hätten eine völlig andere Welt und eine sehr viel interessantere Mischung in den Gated Communities. Beim Utopival letztes Mal waren nicht nur Hippies, sondern auch Teilnehmerinnen mit Kopftuch dabei. Das ist doch prima. Muslime werden leider bei solchen Veranstaltungen meist nicht eingeladen. Das ist sehr trumpös.

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Entwurf des 99Books House

TR: Du sammelst gerade Bücher ein für das 99Books House, Dein neuestes Projekt. Eine fahrbare Bibliothek, in der mensch auch wohnen kann. Welche 3 Bücher haben denn Dein Leben verändert:

  1. Erich Fromm „Haben oder Sein“
  2. St. Exupéry „Der kleine Prinz“
  3. Noah Sow „Deutschland Schwarz Weiß“

TR: Welche drei Erkenntnisse oder AHA-Momente hast Du aus diesen Büchern mitgenommen?

Van Bo Le-Mentzel: Bei Erich Fromm wurde ich ermutigt, mich von Politik und Wirtschaft nicht zum Homo Oeconomicus reduzieren zu lassen, vom kleinen Prinzen habe ich gelernt, dass das Wesentliche für die Augen unsichtbar ist und von Noah Sow, dass wir unsere schönen demokratischen Gärten auf einem kontaminierten Boden pflanzen, und der ist vergiftet, nicht erst seit dem Dritten Reich. Und die Gärtner ignorieren das zu gern.

Höre nicht auf Leute, die Dir fünf Schritte empfehlen

TR: Zum Schluss: Welche 5 Schritte magst Du den Leser*innen mitgeben, damit sie hier & jetzt beginnen einfach zu machen?

Van Bo Le-Mentzel:

  1. Nicht auf Politiker*Innen hören, die eine einzige Leitkultur zulassen.
  2. Nicht auf Lehrer*innen hören, die sagen, du seist nicht gut genug.
  3. Nicht auf Berater*innen hören, die sagen, Du brauchst einen Business Plan.
  4. Nicht auf Ärzt*innen hören, die Geld an Deiner Krankheit verdienen.
  5. Nicht auf Leute hören, die fünf Schritte empfehlen.

TR: Danke Dir von Herzen, lieber Van Bo. Ich bin schon sehr gespannt auf Deinen kreativ-inspirierenden Workshop auf der UTOPIKON.

Hat Dich das Interview inspiriert oder irritiert?

Ich hoffe sehr, dass es beide Qualitäten hatte … Aber darüber können wir uns ja in den Kommentaren austauschen. Hast Du noch Fragen oder Anregungen? Ich freu mich drauf!

Dieser Artikel ist mehr als ein Jahr alt. Es muss daher nicht sein, dass wir jedes einzelne Wort immer noch so schreiben würden wie damals. Wenn Fragen sind, kommentiere einfach zum Artikel, dann antworten wir Dir gerne.

8 Gedanken über “Van Bo Le-Mentzel: Der Karma-Ökonom

  1. Sheyla

    Ich empfinde großen Respekt vor Menschen wie Van Bo Le-Mentzel, die alles geben, um ihre Träume und Überzeugungen zu leben und für andere greifbar zu machen. Für mich ist er ein Symbol dessen, wie es in Zukunft sein kann. Selbstloser, einzigartiger, selbstbestimmter, harmonischer, leichter.
    Ein Charakter mit WOW-Faktor. ^^

    1. Avatar-FotoTobi Rosswog Beitrags Autor

      Super! In welchem Rahmen gibst Du die Laudatio denn?

      In einem Satz ist das natürlich super schwer, aber kurz und knapp:
      Niko Paech ist für mich ein unglaublich authentischer, sympatischer und bescheidener Impulsgeber für eine Wirtschaft außerhalb des Wachstumsdogmas, der es schafft, diese wichtige und durchaus komplexe Message einer breiten Öffentlichkeit leicht zugänglich zu machen!
      Ich bin sehr froh, dass er uns damals auf seine Tagung „Wirschaften ohne Geld“ an die Uni Oldenburg eingeladen hat und wir seitdem in spannenden Kontakt und Austausch sind.

  2. Christian

    2x Existenzgründer: Sohn 3 Jahre, Tochter 5 Monate – Herausgefunden, dass auf einem kugelförmigen Planeten kein Ost und West geben kann…

    Schon da mußte ich laut lachen! Genug gutes Kharma für den Rest des Tages!

    ;o) Ch

    PS: Der Link zum Wohnalphabeten funzt nicht – Url not found!

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