Vor zwei Wochen haben wir das Buch „Der grosse Bio-Schmäh“ hier auf dem Blog vorgestellt. Mittlerweile ist eine Debatte ausgebrochen, an der viele Nutzer*innen und österreichische Medien beteiligt sind. Umso schöner ist es, dass Clemens G. Arvay uns ein Interview gegeben hat. Er ist der Autor des Buches. Auch in den Kommentaren auf unserem Blog konnten wir feststellen, dass allein wegen des Titels des Buches zunächst teils falsche Schlussfolgerungen gezogen wurden. Wir baten den Autor und Agrarwissenschaftler Clemens G. Arvay auch dazu um Aufklärung.
Lieber Clemens, könntest Du kurz beschreiben, worum es in Deinem neuen Buch geht?
„Der große Bio-Schmäh“ ist ein Reality-Check des Bio-Massenmarktes. Was passiert, wenn sich Supermärkte und Discounter des Bio-Booms bedienen, um ihr Image aufzupolieren?
Den Stoff für das Buch lieferten mir die Lebensmittelkonzerne selbst – wenn auch nicht willentlich. Denn meine Ausgangspunkte in der Recherche waren die mystifizierten Darstellungen und suggestiven Versprechen der Werbung, die uns tagtäglich behämmert. Das ist die Märchenwelt, an die wir glauben sollen. Aber ich habe auch Websites, Broschüren und bezahlte Zeitungsartikel unter die Lupe genommen.
Den Teil der Realität, den uns die Konzerne verschweigen, finden die LeserInnen in meinem Buch: Tierfabriken, industrielle Landwirtschaft, Kleinbauernsterben, schlecht bezahlte ausländische Arbeitskräfte und jede Menge Greenwash – eben all das, was sie nie hätten erfahren sollen, wenn es nach den Konzernen ginge.
Ich zeige aber auch Lösungswege auf, die für aktive Bio-KonsumentInnen interessant sind, denen die Idee des Ökolandbaus am Herzen liegt.
Wie bist Du auf die Idee gekommen, über dieses Thema zu schreiben?
Als Agrarbiologe beschäftige ich mich schon lange mit Ökolandbau. In den letzten Jahren waren meine Einblicke in den Bio-Massenmarkt und dessen Marketingstrategien so alarmierend, dass ich nicht länger schweigen konnte. Der Einstieg der großen Goliaths unterwirft die Biolandwirtschaft denselben Zwängen, die auch in der konventionellen Landwirtschaft herrschen. Kleine und mittlere Bio-Betriebe haben es zusehends schwerer, obwohl sie ja als die eigentlichen Akteure des Ökolandbaus gedacht waren. Das wirkt sich natürlich auch gravierend auf die Produktionsumstände aus, die jetzt wohl weit von den Erwartungen der meisten KonsumentInnen entfernt liegen dürften.
Es ist an der Zeit, diejenigen zu informieren, die es betrifft: Die KäuferInnen von Bio-Lebensmitteln!
Clemens, was willst Du mit dem Buch erreichen?
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Du unterstütz damit dieses auf positive Ansätze ausgerichtete Projekt einer Gruppe von Akteur*innen des Wandels, die es lieben, Artikel, Podcasts und Videos rund um Wandel-Themen zu produzieren. Lasst uns gemeinsam ein Sprachrohr aufbauen für Ideen, Projekte und Menschen, die den Wandel vorwärtsbringen.
Ich sehe mich als unabhängigen Informanten für die Bio-KonsumentInnen in Österreich und anderswo. Mir ist aufgefallen, dass fast niemand so recht weiß, wie „kontrolliert biologische Landwirtschaft“ eigentlich in der Realität aussieht und wie groß die Unterschiede zwischen den zentralisierten Märkten der Konzerne und den Ansprüchen der Ökolandbaubewegungen sind. Wir alle haben romantisierte Vorstellungen, die zum Teil von unserem Bedürfnis nach einem „reinen Gewissen“ beim Einkaufen geprägt sind. Darüberhinaus kommen sie von der strategischen Selbst-Inszenierung der Konzerne in der Öffentlichkeit. Greenwash funktioniert in der Bio-Industrie besser als in jeder anderen Branche, weil man den Bio-Konzernen einfach gerne glauben möchte.
Mein Anliegen ist es aber, Bewusstsein für die Idee des Ökolandbaus zu schaffen und aufzuzeigen, wie wir ökologische Landwirtschaft stärken und aus den Zwängen und Interessen profitstrebender Konzerne befreien können.
In Deinem Buch kommen auch namhafte WissenschaftlerInnen zu Wort. Ist Dir eine ihrer Aussagen in besonderer Erinnerung?
Ja. Die bekannte Klimaforscherin und Universitätsprofessorin Dr. Helga Kromp-Kolb hat inunserem Interview einen grandiosen Vergleich getroffen. Sie sagte:
„Bio im Supermarkt zu kaufen ist wie das Fahren eines Hummers mit Bio-Treibstoff. Eigentlich weiß man, dass dieses Auto und Nachhaltigkeit nicht zusammenpassen, doch der Bio-Treibstoff gibt einem ein gutes Gewissen. Es wäre aber nachhaltiger, gar nicht Hummer zu fahren.“
Welche Supermärkte werden in Deinem Buch untersucht?
Die Protagonisten des Buches sind naturgemäß die Beherrscher des österreichischen Bio-Massenmarktes, also die konventionellen Lebensmittelkonzerne wie zum Beispiel REWE, HOFER (ALDI Österreich) und SPAR mit ihren Bio-Handelsmarken wie Ja!Natürlich, Zurück Zum Ursprung, Natur*pur etc.
Sollen wir alle zukünftig auf „Bio“ verzichten?
Wir sollten auf gar keinen Fall auf „Bio“ verzichten – im Gegenteil!
Als mündige und aufgeklärte KonsumentInnen können wir in Zukunft noch sehr viel zur Entwicklung einer ganzheitlich verstandenen ökologischen Lebensmittelproduktion beitragen. Aber zuerst müssen wir uns davon befreien, die bloße Zielgruppe des „zielgruppenorientierten Marketings“ der Lebensmittelkonzerne und ihrer Bio-Marken zu sein.
Könnte eine teilweise oder überwiegende Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln einer der möglichen Lösungswege sein?
Ja. Neben dem „selbstbestimmten Lebensmittelkonsum“ sollten so viele Menschen wie möglich damit beginnen, Nahrung anzubauen, sofern sie einen Garten oder sonstige Flächen dazu haben. Das zentralisierte System der Lebensmittelgiganten ist nicht krisensicher. Es ist störanfällig und logistisch sehr aufwändig. Das gilt auch für die industrialisierte Bio-Produktion. Wer selbst Nahrungsmittel anbaut, stellt nicht nur die eigene gesunde Ernährung für die Zukunft sicher, sondern kann auch einen Beitrag zum Erhalt bedrohter landwirtschaftlicher Sorten leisten.
Im Rahmen Deiner Buchrecherchen hast Du Dich intensiv mit der Werbebranche auseinander gesetzt. Wie stehst Du jetzt zu Werbung?
Ich halte Massenwerbung für eines der bedenklichsten Geschäfte der Gegenwart.
Eine Frage, die wir allen unseren Interviewpartner*innen stellen möchten, und bei der uns auch Deine Fach-Meinung sehr interessieren würde: Gibt es eine Pflanze oder eine Landbautechnik, die wir auf unserem Weg Richtung Selbstversorgung unbedingt kennen sollten?
Ich empfehle, die Kalebasse und die Schwammgurke zu kultivieren. Die Kalebasse zählt zu den ältesten Kulturpflanzen überhaupt. Junge Früchte liefern Nahrung, reife eignen sich zur Herstellung von Flaschen, Schüsseln, Schöpflöffeln, Küchenutensilien und Musikinstrumenten.
Die Schwammgurke verwandelt sich, wenn man sie reif werden lässt, in einen großartigen Rohstoff, aus dem man Küchen- und Badeschwämme sowie das Ausgangsmaterial für Schuheinlagen herstellen kann. Solche „Multifunktionspflanzen“ sind ausgesprochen wertvoll.
Unter den Landbaumethoden für die Selbstversorgung ist die Waldgärtnerei ein heißer Tipp, bei der man versucht, ein regelrechtes Agrarökosystem zu schaffen, dass sich am Ökosystem Wald und dessen sieben Schichten von der obersten Kronschicht bis zur Wurzelschicht orientiert. Empfehlenswert ist das Buch „Die Wald-Gärtnerei“ von Robert A. Hart.
Welchen Tipp kannst Du uns abschließend für unser Projekt „Experiment Selbstversorgung“ mitgeben?
Ihr seid auf dem richtigen Weg. Lasst Euch von Euren Zielen nicht abbringen. Bleibt unabhängig und vor allem: Lasst Eure Ideale nicht von professionellen Marketingfachleuten vereinnahmen. Irgendwann wird vielleicht noch ein Konzern auf die Idee kommen, sogar das Thema Selbstversorgung lukrativ zu vermarkten. Ich halte das nach all meinen Recherchen wirklich für möglich.
Danke, Clemens!
Clemens G. Arvay betreibt unter arvay.info einen eigenen Blog. Für das Buch „Der grosse Bio-Schmäh“ hat er eine eigene Facebook-Seite.
Der Autor Clemens G. Arvay empfiehlt außerdem folgendes Video:
Wir hoffen das Interview hat Dir gefallen. Möchtest du zukünftig immer mitbekommen, wenn wir ein neues Interview oder einen anderen Artikel veröffentlichen, kannst du dich gerne in unseren Verteiler eintragen. Über diesen senden wir maximal einmal die Woche eine Information über die aktuellen Artikel raus. Bei Interesse hier deine Email-Adresse eintragen:
Klar ist Selbstversorgung der beste Weg!
Ich selber lebe und vermittle das auf meinem 'paradise your life'- blog und in Seminaren mit Begeisterung.
Doch andere Lebensformen reißerisch runterzumachen und zu kritisieren sollte nicht unser Weg sein. Wir sollten nicht unsere Energien an diese Niederungen verschwenden, sondern konstruktiv und positiv an neuen Strategien arbeiten und diese einem Lebbarkeits- Check unterziehen. Gute Lösungen werden schnell und gerne auch von anderen angenommen. Besserwisserei und Kritik hat noch niemanden gewonnen …
Im Gegenteil, die Leute werden dadurch verunsichert und kippen oft wieder 'ganz zurück'. Ich freu mich über jedes Schrittchen, das die Leute schaffen. Auch wenn's erstmal nur eines zum Lambert Hofer ist ;-)
In diesem Sinne
paradise your life ! ;-)
Ich denke, Aufzeigen von Fehlentwicklungen ist sehr wichtig – auch wenn es als "reißerisch runtermachen" diffamiert wird.
Selbstversorger würde am Liebsten jeder sein, aber einfach ist das mit Sicherheit nicht. Ich bin prinzipiell auch dafür wieder mehr auf regionale Lebensmittel, insbesondere Bio-Lebensmittel, zu setzen. Vor allem ist es wichtig die kleinen Bio Bauern zu unterstützen, damit wir nicht noch abhängiger von den großen Saatgutfirmen und Massentierhaltungsunternehmen werden. Beim Saatgut gehen wir leider in Richtung Monokulturen was zum aussterben mancher Wildarten führt – z.B. beim Mais.
Ich denke nicht, dass alle alle Menschen wieder Selbstversorger*innen sein wollen. Was auch nicht nötig ist. Schön ist, dass es eine ganze Menge Menschen gibt, die zumindest in die Richtung gehen wollen und den Punkt, an dem sie zufrieden sind, finden werden.
Im Interview hat der Autor gesagt:
"Lasst Eure Ideale nicht von professionellen Marketingfachleuten vereinnahmen. Irgendwann wird vielleicht noch ein Konzern auf die Idee kommen, sogar das Thema Selbstversorgung lukrativ zu vermarkten."
Und schon ist´s passiert:
Das erschien jetzt auf der Ja-Natürlich Facebook_Seite:
"Urbanes Garteln": Die grüne Ecke für Selbstversorger! Ja!natürlich
Das Thema Selbstversorgung ist eh schon in der Werbung präsent. Ich denke da nur an Werkzeugmärkte, die "Selbermacher, Heimwerker, …" zur Zielgruppe erhoben haben. Denn, so wird hier gezeigt, zum Selbermachen braucht man erst einmal einen vollen Einkaufswagen oder deren viele: Hacken, Schaufeln, Mörtel, Samen, Erde, Fliesen (beliebig fortsetzbar) und davon am besten jede Saison neue, die modern, frisch gezüchtet oder mit neuem, unverzichtbarem technischem Know-How ausgestattet sind.
Das ist zwar nicht "echte" Selbstversorgung. Aber man fühlt sich gleich als SelbstversorgerIn, wenn man zumindest schon einmal das Werkzeug zu Hause hat …
Die Werbung holt sich einfach einen Trend und suggeriert, dass, was immer man für den Trend braucht, ganz einfach und glücklich verfügbar ist. Welcher Trend das ist, ist völlig wurscht und Selbstversorgung ist ein Trend heutzutage.
Da hast Du Recht! Baumärkte sind ein gutes Beispiel wie DIY vereinnahmt werden soll….