Als Reaktion auf meinen letzten Artikel „Arbeit.Macht.Abhängigkeit“ kamen viele Kommentare. Auch einige, die deutlich machen: „Du lebst in einer privilegierten Machtposition. So wie du lebst und dein Leben gestaltest, können nicht viele leben“.
Privilegien sichtbar machen
Ja, ich lebe mit und durch Privilegien. (M)ein selbstbestimmtes Leben sowie Vollzeitaktivismus sind vor allem dadurch möglich.
Mir ist es wichtig, zu betonen, dass ich mit vielen Privilegien lebe: Meine gesellschaftliche Position eröffnet mir viele Möglichkeiten. Ich bin eine weiße Person, die im Globalen Norden aufgewachsen und dem „Bildungsbürgertum“ zugehörig ist.
Entscheidungsmacht deutlich machen
Für mich resultiert aus diesen Privilegien Verantwortung. Verantwortung, keine unnötige Nachfrage für dieses ausbeuterische Wirtschaftssystem zu generieren, in Fremdbestimmung zu leben und andere Menschen somit zu Humankapital zu degradieren oder externalisiert zu Sklav*innen unserer Bedürfnisse zu machen, sondern zu überlegen, wie wir in eine solidarischere, sozial-gerechtere und zukunftsfähigere Welt kommen können. Eine Gesellschaft, in der wir möglichst leid-, herrschafts-, leistungs- und diskriminierungsfrei leben.
Diese Verantwortung kann auf verschiedenen Ebenen wahrgenommen werden. Wichtig finde ich, sich bewusst zu machen, dass privilegierte Menschen auch meistens eine große Entscheidungsmacht haben…
Entscheidungen treffen wir immer
Und privilegierte Menschen bleiben privilegiert. Die Frage ist, wie sie damit umgehen. Laufen sie weiterh brav mit in der Arbeitswelt, unterstützen aktiv Ungerechtigkeiten und Machtstrukturen der Gesellschaft?
Oder versuchen sie, diese zu hinter fragen und sich aktiv solidarisch zu positionieren? Ihre Zeit und die meist einfache Deckung der Grundbedürfnisse zu nutzen, um gesellschaftspolitische Veränderung mit zu gestalten?
Entscheidungen treffen wir immer, auch wenn wir stagnieren und an der offensichtlich unglücklichen Situation nichts ändern – In diesem Fall für die Missstände. Wenn auch nicht komplett aktiv, so werden sie doch passiv angenommen und es wird nichts zur Veränderung beigetragen.
Um etwas zu ändern, ist es meistens notwendig, die eigene Komfortzone ein Stückchen zu verlassen. Dort warten die eigenen Ängste, Unsicherheiten und Sorgen. Überwinden wir unsere (mentalen) Grenzen, können wir unsere eigenen Stärken und Talente entdecken und daraus Mut und Selbstvertrauen schöpfen.
„Du bist nicht nur verantwortlich für das, was du tust, sondern auch für das, was du nicht tust.“
Der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno hat in „Minima Moralia“ geschrieben „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“. Auch wenn fragwürdig ist, ob mit den Begriffen „richtig“ und „falsch“ nicht eine lebensferne Dichotomie aufgemacht wird, beinhaltet diese Aussage unglaublich viel. Es sind die Strukturen, die Individuen prägen und sozialisieren und wiederrum die einzelnen Menschen, die diese Leid verursachenden Strukturen reproduzieren. Können wir richtig leben?
Selbst wenn wir es im Status Quo nicht können – es also immer an jeder Lebensweise Kritikansätze geben wird – können wir dynamisch und kreativ versuchen unser Leben und Umfeld so solidarisch und zukunftsfähig wie möglich zu gestalten.
Aus meiner Perspektive sollte dieser Anspruch als organischer Prozess verstanden werden, welcher offen ist für konstruktive Kritik, die auf verschiedenen Ebenen geäußert werden kann.
Als Schlüsselelement erlebe ich dabei die wertschätzende Kommunikation und empathische Haltung im Austausch.
Konkret heißt das: Einen Diskurs ohne den „erhobenen Zeigefinger“ zu führen, sondern eher mit der Haltung „Welchen Punkt siehst du, den ich nicht sehe? Was sind deine Bedürfnisse dahinter?“ in ein Gespräch gehen.
Aktivismus kann ein Privileg sein
Insofern: Ja, ich lebe in einer privilegierten Position, die es mir ermöglicht vollzeit und selbstbestimmt aktiv zu sein. Um meine Zeit und Talente schenken zu können, organisiere ich mein Leben so geldfrei wie möglich (dies hat allerdings auch noch andere Gründe), um keine Energie in Bürokratie und Tätigkeiten, in denen in keinen Sinn sehe, verlaufen zu lassen. Ich nehme meine Verantwortung mit Freude und innerer Motivation wahr.
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Natürlich ist diese Lebensweise momentan nicht für alle möglich. Allerdings bin ich genau deswegen der Meinung, dass diejenigen, die von dem Privileg Aktivismus machen zu können profitieren, ausbrechen sollten aus dem Verwertungssystem, um andere nicht weiterhin zu versklaven. Denn: Die individuelle Ebene hängt da stark mit der strukturellen zusammen.
Fazit
Lasst und also unsere Verantwortung wahrnehmen und so gut es geht ein neues Miteinander als gelebte Praktiken schon jetzt Realität werden! Wichtig: Dabei die eigenen Privilegien und gesellschaftliche Position nicht aus den Augen verlieren und sich immer wieder kritisch und konstruktiv reflektieren!
Als krönenden Abschluss die Frage: Welche Konsequenzen ziehst du aus deinem Privilegiert-Sein?
Danke an alle, die durch ihre Kommentare dazu eingeladen haben, Privilegien sichtbar zu machen und Lebensrealitäten kritisch zu reflektieren.
Pia, danke, dass du hier Einblick in dein Leben gegeben hast! Ich bin ebenfalls vollzeitengagiert, und lebe nach der einfachen Logik: Wenn jeder seine Gabe in die Welt schenkt, kann die Welt reicher nicht werden. Darum tue ich genau das, und nehme dafür Hartz IV.
Auf diese Weise kann ich den ganzen Tag anderen Gutes tun, aus meinen Stärken und Talenten heraus, und zugleich eine Geschichte vom (fast) bedingungslosen Grundeinkommen erzählen.
Nichts begeistert und bewegt Menschen so wie eine Geschichte, und ich erzähle eine von einer besseren Welt, in der ich bereits lebe und glücklicher bin als je zuvor. Ich glaube, dass ich die Welt dadurch maximal effektiv verändere: In den Köpfen und Herzen.
Mehr unter http://de.movemeta.org!
Danke für den Artikel! Das passt wunderbar zu meinem momentanen Thema und ich freue mich auf nicht wertende Diskussion ohne erhobenen Zeigefinger.
Was mich momentan beschäftigt ist mein schlechtes Gewissen.
Ich versuche so wenig Müll wie möglich zu produzieren.
Ich esse möglichst saisonal und regional, ich verzichte weitgehend auf tierische Produkte.
Ich versuche Kleidung zu kaufen, die in Europa produziert wurde und gebe da für ein einfaches Unterleiberl 10 Euro mehr aus.
Ich versuche so authentisch wie möglich zu sein (also auch da keinen Müll zu produzieren)
Doch ich stoße an Grenzen:
Statt langfristig zu investieren in ein österreichisches First-Class Sofa von Gea habe ich mich dann doch für das von Kika entschieden, die 1100 Euro, die ersteres mehr gekostet hätte, habe ich momentan einfach nicht. Oder anders gesagt: Ich hätte sie schon, aber das Geld investiere ich lieber in Ausbildung und meinen nächsten Urlaub.
Ich habe ein Buch geschrieben und mich entschlossen es über CreateSpace zu produzieren (eine Schiene von Amazon) einfach, weil ich dadurch als Autorin mehr als das sechsfache an jedem Buch verdiene als wenn ich einen österreichischen oder deutschen Verlag gewählt hätte. Es sind zig Stunden in dieses Projekt geflossen und schließlich muss ich meine Miete zahlen.
Ich raunze darüber nicht, ganz und gar nicht. Ich habe das Privileg einen Job zu haben, der mich ganz und gar erfüllt.
Doch es bringt mich an meine Grenzen. Wieviel „Gutmensch“ ist möglich?
In meiner Freizeit sitze ich nun und überlege mir, welchen Beitrag ich für die Flüchtlinge unentgeltlich leisten kann, obwohl ich sowieso schon einen helfenden Beruf habe.
Das macht ein Mangelgefühl, ich möchte aus der Fülle heraus gutes Bewirken, nicht aus schlechtem Gewissen.
Ich finde es sehr schwierig den für sich richtigen Weg zu finden, daher finde ich für mich wichtig, nur kleine Schritte zu gehen, die dann aber dauerhaft.
Mein Thema ist momentan die Balance zu finden, also gut auf mich selbst zu schauen und auf meine Umwelt. Steht schon in der Bibel: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ Ich finde den zweiten Teil des Satzes sehr wichtig, um über dem ganzen Helfen, Gut sein, Überlegen wie man noch besser machen kann nicht die Freude zu verlieren.
Genug darf auch mal genug sein.
Hi,
ich finde es sehr interessant, dass du diesen *Vorwurf* ausgreifst, wichtige Diskussion. Auch wenn ich keine Vollzeitaktivistin musste ich mir schon Sachen anhören wie „Das kann aber nicht jeder so machen / Dafür hat aber nicht jede*r die Zeit“, woraufhin ich dann erwiederte: Das habe ja auch nicht verlangt und das sehe ich auch nicht als ein Argument, warum ich gewisse Weltverbesserungsansätze nicht leben sollte. Ich habe schon das Gefühl, dass oft eine Art schlechtes Gewissen oder Frust über das eigene Leben ist, der dann irgendwie proiieziert wird. (… und vielleicht auch oft berechtigter Frust ist.)
Schwer finde ich es manchmal auch, die Grenze zu ziehen, wann jemand privilegiert ist und wann nicht, bzw gibt es da ja verschiedene Ebenen, ist eben nicht alles schwarzweiß.
Welche Konsequenz ich aus meinen Privilegien ziehe: Ich versuche, wenig Schaden und Leid zu verursachen, Ich versuche, andere Perspektiven als meine einfließen zu lassen, in meine Überlegungen, wie wir gemeinsam die Welt verbessern können. :) Nicht zuletzt akzeptiere ich, dass es verschiedene Wege und Herangehensweisen gibt, die alle okay sind.
Danke Dir für Deine Gedanken!
Vor allem deinen letzten Satz finde ich wichtig und bereichernd: Es gibt nicht die Lösung, Veränderung zu gestalten. Das kann durch verschiedene Ansätze passieren – ob durch authentisches Vorleben, durch Bildungsaktiviäten, Mitgestaltung eines Diskurses oder direkten Widerstand. Wir sollten die verschiedenen Formen aktzeptieren und eher zusammen arbeiten, als uns zu splitten und darauf zu beharren, dass es eine „richtige“ gibt.
Hallo,
ich finde deine Artikel sehr spannend und sehr inspirierend meine eigene Lebensweise zu überdenken. In vielen Punkten stimme ich dir zu, Verschwendung und Konsum sind entbehrbar und Arbeit ist nicht alles.
Für mich ist meine Tätigkeit (ich bin gelernte Technische Zeichnerin), mehr mittel und Zweck für meinen Lebensunterhalt aufzukommen.
Ich brauche ein regelmäßiges Einkommen um mich sicher zu fühlen.
Vielleicht habe ich es überlesen, aber mich interessiert sehr wie du dein Leben organisierst. Wo wohnst du, was ist mit Versicherungen (im Falle einer schlimmen Krankheit). Und was ist mit existentiellen Ängsten für die Zukunft (Kinder, komplette soziale Absicherung, Rente, etc. ).
Wahrscheinlich denke ich da selber schon wieder viel zu weit, aber das sind alles Fragen die in mir hochkommen :).
Immer weiter so!
Liebe Grüße,
Anja
Liebe Anja,
es freut mich, dass meine Artikel Dir gefallen :)
Zu deiner Frage:
Michael hat Tobi und mich dazu vor mittlerweile mehr als einem Jahr mal interviewt. Den Artikel findest du hier:
https://nanu-magazin.org/living-utopia-ein-leben-frei-von-geld/
Nicht alles würden wir heute vermutlich noch genau so beantworten. Vieles ist im Wandel. Und genau das ist auch eine unserer Devisen: Kreativ auf Veränderung reagieren und kein Konzept mit 10-Punkte-Plan aufstellen. Dabei jedoch versuchen, so leidfrei wie möglich das eigene Leben zu gestalten.
Zu der Wohnsituation: Bisher war ich immer unterwegs – für Vorträge, Fotbildungen, Planungstreffen, Aktionen und Projekte. Nun entwickelt sich allerdings gerade etwas Neues. Vielleicht werde ich oder Tobi darüber hier ja in naher Zukunft schreiben ;)
Für einen Kommentar wäre das hier jedenfalls zu viel.
Ich hoffe, meine Zeilen sind eine einigermaßen befriedigende Antwort für Dich ;)
Vielleicht begegnen wir uns ja mal bei einem unserer Projekte? Die findest du bei Interesse alle auf unserer Internetseite.
Alles Liebe Dir,
pia