Identität. Diskriminierung. Rassismus

Eigene Privilegien hinterfragen

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Von Pia Selina Damm
25. September 2015
Dieser Artikel ist Teil der Serie Ergebnisse des utopvials 2015

Nesreen Hajjaj gestaltete auf dem utopival einen Workshop zu den Themen Identität, Diskriminierung und Rassismus. Viele Menschen sind tagtäglich von (rassistischer) Diskriminierung betroffen und gleichzeitig gibt es viel zu wenige ernsthafte Bestrebungen von privilegierten Personen sich damit auseinander zu setzen. Ein Alltags-Thema, welches tot geschwiegen wird… Wie können wir in ein solidarisches Miteinander gehen, wenn gesellschaftliche Positionen nicht hinter fragt werden?

Der Anfang: eigene Privilegien erkennen

„Ich möchte mit euch gemeinsam gerne mittels praktischer Übungen diese verschiedenen Felder näher beleuchten. Wir leben in einer Welt, in der diese Themen für viele Menschen vollkommen fremd sind, obwohl wir sie alle kennen“, Nesreen Hajjaj.

Der Workshop hat einen spielerischen Einstieg. Wir alle bekommen Karten, auf denen verschiedene Identitäten stehen – ein Beispiel:

Identitätskarte: Sie arbeiten in einer Beratungsstelle und sind Kurdin mit Hijab (muslimische Kleiderordnung von muslimischen Frauen, langes weites Kleid und Kopftuch).

Wir stellen uns in einer Linie auf, während Nesreen verschiedene Aussagen vorliest, wie: „Ihnen wurde vom Studium oder Beruf abgeraten aufgrund ihrer Religion, Rasse, Ethnizität, Nationalität, Schichtzugehörigkeit, ihres Geschlechts oder Ihrer Sexuellen Orientierung“.

Wenn wir als Person auf der Karte der Aussage zu stimmen, dürfen wir einen Schritt nach vorn gehen, wenn nicht müssen wir einen Schritt nach hinten weichen und wenn wir uns unsicher sind, bleiben wir stehen.

Nach einigen Aussagen, stehen alle Personen an ganz unterschiedlichen Standpunkten und schnell wird deutlich: Einige Personen stehen weiter vorn, da sie Privilegien genießen, andere weiter hinten, da sie von Diskriminierung betroffen sind.

Was diese Methode vor allem aufzeigte, war: Zugang zu bestimmten Ressourcen zu haben – sei es einer Wohnung, Arbeitsstelle oder sauberem Trinkwasser – ist nicht selbstverständlich. Leider ist es sogar alles andere als das.

„Mir geht es darum, dass ihr den Prozess, in dem ihr euch nun befindet beobachtet und schaut, was er mit euch macht“, Nesreen.

Raum für Diskussionen

Durch die spielerische Anleitung gibt es wenig direkten Input. Das führt dazu, dass viele Impulse und Perspektiven aus der Gruppe selbst heraus kommen können, wobei Nesreen den Prozess begleitet.

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Nesreen erklärt

Es ist Raum da für Diskurse, für Fragen, die plötzlich aufkommen und vorher vielleicht nicht da waren, da mensch dachte, die Antwort zu kennen. Fragen wie: Was bedeutet überhaupt Diskriminierung?

Wir versuchen uns an einer Definition: Diskriminierung ist eine Benachteiligung aufgrund bestimmter Merkmale, welche eine Personengruppe ausmachen. Strukturelle und institutionelle – also von Institutionen wie Behörden ausgehende – Diskriminierung äußern sich durch ein Machtgefälle. Das heißt: Menschen, die nicht der „Norm“ der Mehrheitsgesellschaft entsprechen, haben wenige Möglichkeiten, ihre Interessen durchzusetzen und an gesellschaftlichen Meinungsaustauschen teilzunehmen. Damit einher geht, dass diskriminierte Personen auf viele Ressourcen, die selbstverständlich erscheinen – wie der Zugang zu einer Mietwohnung – oft nicht zugreifen können.

Schnell fällt auch der Begriff „Mobbing“. Vergleiche werden heran gezogen und die Frage kommt auf, worin der Unterschied zwischen „Mobbing“ und „Diskriminierung“ liege.

Die Gruppe kommt zu dem Ergebnis, dass Mobbing vom sozialen Kontext abhängig und personenbezogen ist. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, wie es bei Diskriminierung der Fall ist, fällt also eher weg.

Wer wird diskriminiert?

Die nächste Methode diente dazu, zu reflektieren, wem in unserer Gesellschaft eigentlich Diskriminierung widerfährt. Dazu bekommen wir die Aufgabe aufzuschreiben, welche Personengruppen diskriminiert werden und welche nicht.

Als Person, die in Deutschland als diskriminierungsfrei gelten könnte, kommt heraus: Ein weißer, heterosexueller, gesunder, christlich geprägter Mann, welcher dem Bildungsbürgertum angehört, der Schönheitsnorm entspricht und im Durchschnittsalter liegt.

Ohne aufzuzählen, welche Personengruppen diskriminiert werden könnten, wird deutlich: Es gibt weitaus mehr Wirkungsfelder von Diskriminierung als wir uns im Alltag vielleicht bewusst sind.

Die Norm

Wieso ist das Wissen um diese vielseitigen Mechanismen uns nicht allgegenwärtig, sodass es uns leicht fallen würde zu erkennen: Moment mal, da wird gerade eine Person diskriminiert… Ich kann handeln und mich solidarisieren!

Einer der Gründe ist unsere Prägung und Sozialisation. Wir wachsen auf mit der oben genannten Normvorstellung, die uns – unter anderem durch die durchschnittlich 6000 Werbebotschaften, die täglich auf uns einprasseln – als absolutes Ideal ins Unterbewusstsein gebrannt wird.

Etwas, das omnipräsent und Normalität ist, wird eben wenig bis gar nicht hinter fragt. Wieso auch? Es scheint gesellschaftlicher Konsens zu sein, dass nur Menschen, die weiß, heterosexuell, gesund, schön, christlich, männlich, erfolgreich und durchschnittsalt (hier gilt kein oder, sondern und!) rundum perfekt sind. Unterbewusst streben wir also auch nach diesem Anerkennungs-Rezept. Eine Zutat, dieses zu erreichen, ist deutlich zu machen, welche Merkmale von einigen Personen nicht erfüllt werden. Denn mit dem Zeigefinger darauf zu deuten, betont gleichzeitig, wie „normal“ Du selbst doch bist… Durch die Abwertung einer anderen Person(engruppe) kann außerdem ein gesellschaftliches Wir-Gefühl aufgebaut werden. Das nennt sich symbolische Distinktion.

Distinktion – ein Beispiel zur Veranschaulichung

Distinktion steht in den Sozialwissenschaften für die bewusste oder unbewusste Abgrenzung von sozialen Gruppierungen.

Als konkretes Beispiel: Als vermehrt Menschen aus Ostdeutschland als „rückständig“ und „dumm“ abgestempelt wurden, bot sich für sie die Gelegenheit sich durch einen Diskriminierung, hier Rassismus, in die westdeutsche Gesellschaft zu ‚integrieren‘. Dies geschah, indem andere Menschen, hier sog. ‚Ausländer‘, rassistisch abgewertet wurden. So hatten Ostdeutsche mit Westdeutschen plötzlich wieder einen gemeinsamen Nenner. Distinktionsbestrebungen verhindern also auch, dass sich aus der Gesellschaft Ausgeschlossene miteinander solidarisieren.

„Alle Menschen haben Stereotype im Kopf. Wir können uns täglich selbst reflektieren, indem wir uns fragen: Wie habe ich mich heute Menschen gegenüber, die sich selbst als ‚divers‘ bezeichnen, verhalten?“, Nesreen.

Was kannst Du tun?

Zunächst einmal kannst Du einige Gedanken- und Reflexionsgänge gehen. Denn vieles in unserem Alltag erscheint uns natürlich und selbstverständlich. Doch: Ist es das nicht nur für bestimmte Personengruppen?

Folgende Fragen und Anregungen können Dir vielleicht eine Hilfestellung geben:

  1. Werde Dir Deiner gesellschaftlichen Position bewusst: Wie bin ich aufgewachsen? In welchem Umfeld bewege ich mich?
  2. Werde Dir Deiner Privilegien bewusst: Welchen Zugang zu Ressourcen und Grundbedürfnissen (Wohnung, Essen, Zugang zu Arbeitsstellen etc.) habe ich/ welchen nicht? Was davon erscheint mir selbstverständlich?
  3. Werde Dir Deiner gesellschaftlichen Stimme bewusst: Wem gebe ich eine Stimme? Wen lasse ich sprechen/ zitiere ich? Sind es vor allem weiße Männer? Über wen spreche ich? Und vor allem wie?
  4. Werde Dir Deiner Auswirkungen deiner alltäglichen Handlungen bewusst: Was konsumiere ich? Gibt es diese Produkte aufgrund von Ausbeutung anderer? Wie kann ich meine Privilegien nutzen, um Leid zu verhindern?

Wie sieht die Utopie aus?

Um gesellschaftliches Miteinander anders leben zu können, braucht es zunächst eine Analyse des Status Quo, damit wir erkennen, was schief läuft und vor allem, warum dies so ist. Anschließend können wir darüber in den Diskurs treten, wie eine Gesellschaftsutopie aussehen kann.

In dem Workshop selbst sind wir zu diesem Punkt leider nicht mehr gekommen. Das ist in zwei Stunden vermutlich auch etwas viel verlangt.

Da es mich trotzdem interessiert, habe ich Nesreen um ein Interview gebeten. Freudigerweise hat sie zugestimmt – welch spannenden Perspektiven dabei heraus gekommen sind, erfährst Du in meinem nächsten Artikel.

Wie sieht Deine Utopie dahin gehend aus? Hast Du Vorstellungen?

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Schau Dir gerne weitere Artikel aus der Serie "Ergebnisse des utopvials 2015" an:Von Utopien und lieben Menschen >>

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Serie: Ergebnisse des utopvials 2015

Auf dem Mitmachkongress utopival gab es eine Menge Workshops und Vorträge. Dessen Inhalte und Ergebnisse möchte eine Gruppe an Teilnehmenden von dort hier nach und nach zur Verfügung stellen.

Die bisherigen Artikel der Serie:
Dieser Artikel ist mehr als ein Jahr alt. Es muss daher nicht sein, dass wir jedes einzelne Wort immer noch so schreiben würden wie damals. Wenn Fragen sind, kommentiere einfach zum Artikel, dann antworten wir Dir gerne.

4 Gedanken über “Identität. Diskriminierung. Rassismus

  1. markus

    hallo

    ich finde es schade, dass ihr meinen kommentar nicht aufgeschaltet hat.
    der kommentar hatte nichts diffarmierendes, hat aber aufgeklärt.

    dieser artikel streut uns nur sand in die augen, und erzählt nicht annährernd die ganze wahrheit über flüchtlinge, rassismus und andere dinge in diese richtung.

    aber wenn man eine gewisse stimmung mit einem artikel hier erzeugen will, sind natürlich gegenstimme nicht gerne gesehen. ich bin aber der meinung, dass man alle stimmen hören sollte, sonst kann sich keiner mehr ein wirklich gutes urteil mehr bilden über das thema.

    in diesem sinne, beeinflusst ihr die wahrheit mit solchen zensuren. aber klar, zensieren, ist ja politisch korrekt, nur habe ich gedacht, dass selbstversorgen eher nicht in die bresche vom hosenanzug hauen.

    1. Avatar-FotoMichael Hartl

      Lieber Markus,

      das Wort Zensur schreit sich schnell und laut und aus manchen Ecken auch gerne. Du hast Dich mit dem Veröffentlichen eines Kommentars mit den Kommentar-Richtlinien dieses Blogs einverstanden erklärt. Darin ist genau beschrieben, dass manche Kommentare erst moderiert werden müssen. Und Deines erfordert eine ausführliche Antwort, die wir zeitgleich veröffentlichen wollen.

      Michael Hartl – Betreiber dieser Website.

  2. Katja*

    Aloha,
    so wie der Text jetzt steht, enthält er einen logischen Fehler.
    Wenn diejenigen, die NICHT von den genannten Diskriminierungen betroffen sind, einen Schritt nach vorne gehen, dann stehen am Ende tatsächlich die am meisten von Diskriminierung betroffenen Menschen hinten.
    Wenn aber, wie im Text gesagt, diejenigen nach vorne schreiten, die diskriminiert werden, dann stehen diejenigen mit den meisten Privilegien HINTEN.
    1x aufräumen bitte!

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