Die Gemeinwohl-Ökonomie – ein Wirtschaftsmodell mit Zukunft?

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Von Christina Ruchel
12. November 2014

Schon 300 v.Chr. schreibt Platon in der „Politeia“:

„Das Gemeinwohl stellt die Funktion und das Ziel der politischen Gemeinschaft dar, in ihm verwirklichen sich die Bedürfnisse, die Interessen und das Glück aller Bürger durch ein tugendhaftes und gerechtes Leben.“

Und auch Cicero (106-43 v.Chr.) konstatiert, dass das Wohl des Volkes als oberstes Gesetz gelten soll. Damals wie heute war die Idee des Gemeinwohls sehr verbreitet und auch die These, dass das Gemeinwohl der Weg zum Glück für alle Bürger sei, ist nicht neu. Über 2.000 Jahre später heißt es nun seit 1946 in der Bayerischen Verfassung: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“ (Art. 151). Auch das Grundgesetz erwähnt das Wohl der Allgemeinheit und sagt aus, dass „Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll“ (Art. 14).

Diese lange Entwicklung von Platon über Cicero und weitere Philosophen bis hin zur Niederschrift im Grundgesetz zeigt, dass das Gemeinwohl sehr präsent und wichtig für eine funktionierende Gesellschaft ist. Die Gemeinwohl-Ökonomie möchte genau diese Gesetze und die Aussagen der großen Philosophen wörtlich nehmen und in der Praxis von Unternehmen und Gemeinden verankern.

Wächst du noch oder blühst du schon?

Seit ihrer Gründung hat der Gedanke einer Gemeinwohl-Ökonomie viele Anhänger gefunden und eine rasante Entwicklung hingelegt. Christian Felber, Mastermind und einer der Gründungsinitiatoren der Bewegung, hat in den vergangenen vier Jahren bereits mehr als 460 Vorträge über die Gemeinwohl-Ökonomie gehalten. Bis nach Santiago de Chile wird der charismatische Österreicher eingeladen, um die neue Theorie vorzustellen und zur Anwendung und gemeinsamen Weiterentwicklung einzuladen. Sein erstes Buch zur Gemeinwohl-Ökonomie ist in 9 Auflagen und mehreren Sprachen erschienen. Sein neustes Buch „Geld – Die neuen Spielregeln“ hat ebenfalls eine beachtliche erste Auflage von 10.000 Exemplaren. Die Veröffentlichungen haben zum Teil heftige Kontroversen ausgelöst aber noch viel mehr begeisterte Leser gefunden.

Gabriele Wander, Geschäftsführerin des Stuhlherstellers Mi Shu und Fan des neuen Wirtschaftsansatzes schwärmt: „Das Beste daran ist, dass jeder einen Beitrag leisten kann, jetzt sofort. Wir brauchen nicht erst darauf zu warten, bis Politiker die Gesetze ändern und damit die Weichen stellen: Wir Unternehmer fangen einfach an.“ Als Einstieg empfiehlt sie Felbers Buch „Gemeinwohl-Ökonomie“.

Die Brücke in die Zukunft

Die Gemeinwohl-Ökonomie möchte auf wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene einen „dritten“ Weg aufzeigen und reiht sich somit weder bei der kapitalistischen Marktwirtschaft noch bei der kommunistischen Wirtschaftstheorie ein. Vielmehr beruht ihr Ansatz auf ethischen Grundwerten wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Solidarität und Demokratie. In einem für die Wirtschaft verbindlichen Rechtsrahmen möchte die Gemeinwohl-Ökonomie somit ihre Wirkung entfalten. Die tragenden Säulen sind keinesfalls neu, sondern sie passen die neue Wirtschaftsordnung den Zielen und Werten der Verfassung demokratischer Staaten an: Geld, Gewinn und Kapital werden vom Zweck zu Mitteln des Wirtschaftens. Es gibt derzeit keine Verfassung, die besagt, dass Geld oder die Mehrung des Kapitals der Zweck des Wirtschaftens seien.

Kooperation ist das Schlüsselwort und gilt statt Konkurrenz als neues Paradigma. Die einfache Grundthese: Wenn die Menschen mehr zusammenarbeiten führt das zum Erfolg aller. Das Umfeld dafür sind gute zwischenmenschliche Beziehungen.

Foto eines Treffens von Menschen, die sich für die Gemeinwohlökonomie einsetzen.

Das „Herzstück“ – die Gemeinwohl-Bilanz

Die Gemeinwohl-Bilanz eines Unternehmens oder einer Gemeinde ist das „Herzstück“ der Gemeinwohl-Ökonomie. Sie zeigt auf, wie human, wertschätzend, kooperativ, solidarisch, ökologisch und demokratisch sich eine Organisation verhält. Gemessen wird das Ergebnis in Punkten. Jedes Unternehmen kann maximal 1.000 Punkte erreichen und seine Position in einer farblich unterscheidbaren Ampel darstellen, die auf Produkten und Dienstleistungen abgebildet werden kann. Streicht der Konsument mit dem Handy über den QR-Code, erscheint auf dem Display die gesamte Gemeinwohl-Bilanz. Damit liefert die Gemeinwohl-Ökonomie transparente, vergleichbare Informationen. Eine ordnungspolitische Konsequenz und Belohnung für den Gemeinwohl-Einsatz sollte dann sein: Je besser das Ergebnis eines Unternehmens, desto mehr rechtliche Vorteile sollte es erhalten. Beispiele wären ein niedrigerer Mehrwertsteuersatz, Zoll-Tarifvorteile oder günstigere Zinssätze bei Krediten. Mithilfe dieser Anreizinstrumente würde die verkehrte Situation von heute zurechtgerückt: Nicht die Profitmaximierer, sondern die Ethischsten, Nachhaltigsten und Verfassungstreuesten werden belohnt. Gemeinwohl-Akteure könnten damit Kostenentlastungen erhalten und ihre Produkte zu einem attraktiven Preis anbieten. Andere, die noch nicht gemeinwohlorientiert handeln, müssten sich umorientieren oder würden gar vom Markt verschwinden. Die „Gesetze“ des Marktes würden mit den Werten der Gesellschaft übereinstimmen. Bereits 2011 erstellte Sonnentor als eines der ersten Unternehmen eine Gemeinwohl-Bilanz.

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„Für uns ist die Gemeinwohl-Ökonomie eine Form des Wirtschaftens, die nicht den Gewinn, sondern das Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellt. Das unterstützen wir, denn nur so kann die Freude wachsen“.
Johannes Gutmann, Gründer des Unternehmens Sonnentor.

Foto einer Pusteblume, der gerade Samen weggeblasen werden.
Pusteblume (©Alexandra H. / pixelio.de)

Eine von oben gesteuerte Zwangswirtschaft?

Neben diesen Fragen gibt es auch kritische Stimmen zur Gemeinwohl-Ökonomie. So heißt es z.B. auf der Seite der Julius Raab Stiftung: „Was für manche auf den ersten Blick nach sympathischen Vorschlägen für eine bessere Welt klingen mag, entpuppt sich bei Detailanalyse als Neuauflage einer von oben gesteuerten Zwangswirtschaft.“ Das liberal-konservative österreichische Tagesblatt DiePresse wirft Christian Felber „ein geschlossenes Weltbild und hermetische Argumentation“ vor. Weiter schreibt sie, „Kritik ist nicht erwünscht und alle, die seine Thesen für Unsinn halten, haben falsche Werte. Hinter den demokratischen Überlegungen lugt das böse Antlitz der Diktatur hervor. Die Kenner der Geschichte ökonomischer Modellversuche bleiben mit Gänsehaut zurück. Felbers Gemeinwohl-Ökonomie geht von einem ebenso schlichten, rein ökonomischen Menschenbild aus, wie der von ihm zu Recht bekämpfte Neoliberalismus. Beide Systeme tendieren zu autoritären Entartungen.“

Harte Worte der Stiftung und der österreichischen Tageszeitung. Doch Christian Felber zeigt sich unbeeindruckt und weist Vorwürfe, eine Diktatur aufbauen zu wollen, vehement zurück. Es gehe ihm nicht darum, jemandem ein neues System aufzuzwingen, sondern eine praktisch anwendbare Alternative zu entwickeln, bei der jeder zur Mitgestaltung eingeladen ist. Damit legt er seinen Kritikern das Handwerk. Jeder kann den neuen Ansatz mitgestalten und deswegen ist, wenn überhaupt, eine konstruktive Kritik angebracht.

Ausblick

Die Zukunft der Gemeinwohl-Ökonomie sieht gut aus. Die Homepage der Bewegung ecogood.org verzeichnet 1.686 Unternehmen aus 27 Staaten. Hinzu kommen 62 PolitikerInnen, 214 Vereine, Gemeinden, Universitäten und über 5.791 Personen. Fast täglich wächst die Community und kommt bis dato auf eine Gesamtanzahl von 7.753 Unterstützern. An die 100 Gemeinden und Städte in Europa und Amerika zeigen Interesse und organisieren „kommunale Wirtschaftskonvente“. In Österreich gibt es bereits besonders viele Gemeinwohl-Unternehmen und in Zusammenarbeit mit der Universität Salzburg wird ein Masterstudiengang zur Gemeinwohl-Ökonomie erarbeitet. Südtirol überlegt, eine „Gemeinwohl-Ökonomie-Modellregion“ zu werden. In Deutschland und der Schweiz sind Regionalgruppen entstanden, die gut zusammenarbeiten und ihr „Energiefeld“ fortlaufend erweitern. Das langfristige Ziel ist nicht die Durchsetzung eigener Inhalte, sondern die demokratische Diskussion und Entwicklung einer zukunftsfähigen Wirtschaftsverfassung. Ein historisch würdiges Datum dafür könnten die Jahre 2019 und 2020 sein: 100 Jahre Demokratie in Deutschland und Österreich. Die Ziele sind weit gesteckt und mit einer verbesserten Kommunikation erhoffen sich die Vorantreiber der Gemeinwohl-Ökonomie weitere Erfolge. Eines ist für die Gründer und Pioniere klar: Die Bewegung steht erst am Anfang!

Mehr zur Gemeinwohl-Ökonomie findest du im Netz unter www.ecogood.org

Dieser Artikel erschien zuerst im forum Nachhaltig Wirtschaften.

Dieser Artikel ist mehr als ein Jahr alt. Es muss daher nicht sein, dass wir jedes einzelne Wort immer noch so schreiben würden wie damals. Wenn Fragen sind, kommentiere einfach zum Artikel, dann antworten wir Dir gerne.

3 Gedanken über “Die Gemeinwohl-Ökonomie – ein Wirtschaftsmodell mit Zukunft?

  1. Bernd

    Gesteuert ist jedes Wirtschaftssystem das wir bisher hatten. Und das ist auch gut so. Wir wollen ganz sicher keinen völlig ungebremsten Wirtschaftsbereich, da kommen wir dann unter die Räder.

    Das oben beschriebene System scheint mir aber eher ein Rückschritt gegenüber der heutigen Steuerung durch Gesetze zu sein. An Gesetze muss ich mich halten, oder ich werde bestraft. An dieses Punktesystem kann ich mich halten, tue ich es nicht bekomme ich halt weniger Punkte. Nur etwas falsch ausbalanciert, und völlige Umweltzerstörung würde die Folge sein.

    Als Ergänzung zu unseren bisherigen Gesetzen mag das aber klappen. Wobei ich eher eine weltweite Angleichung nebst entsprechenden Ausgleichzahlungen für weniger entwickelte Staaten bevorzugen würde. Das würde grad bei den weniger entwickelten Staaten den Druck wegnehmen durch laxen Umwelt und Arbeitnehmerschutz einen Wettbewerbsvorteil zu erringen.

    Interessant wäre dieses Punktesystem noch eher auf kleinerer Ebene. Eine amazonähnliche Handelsplattform, die Ihre Verkäufer und/oder Produkte entsprechend anbietet.

  2. Wolfgang

    Ich sehe gesteuerte Systeme immer kritisch, weil sie letztlich Ängste spiegeln. In diesem Fall sind es sogar dieselben, wie das bestehende System: Knappheitsdenken und Mistrauen. Das führt immer zu unerwünschten Ergebnissen, wenn es noch so gut gemeint ist.

    Ich halte die Ansätze von Charles Eistenstein, http://sacred-economics.com/, für vielversprechender. Aber vielleicht ist Gemeinwohlökonomie ein Modell für den Übergang, sofern man vorsichtig damit umgeht. Zumindest schult es ein anderes Denken, das im Idealfall vielleicht sogar Ängste abbaut.

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