Großartigerweise ist in der Frage nach Klimagerechtigkeit gerade viel los. Ob Ende Gelände, Hambacher Forst, Fridays for Future oder XR (Extinction Rebellion). Mit Hanna Poddig darf ich über ihr Buch „Klimakämpfe – Wir sind die fucking Zukunft“ sprechen, das sich mit genau diesen Kämpfen für Klimagerechtigkeit beschäftigt.
Tobi Rosswog: Huhu Hanna, magst Du Dich kurz nochmal vorstellen für alle, die noch nicht das letzte Interview unter dem Titel „Alles muss sich ändern“ mit Dir gelesen haben. In Deinem aktuellen Buch steht über Dich sowas wie „anarchistische Aktivistin“. Was macht eine anarchistische Aktivistin aus?
Warum wir selbst die Welt aufbauen müssen, die wir haben wollen
Hanna Poddig: Also ich komme eigentlich aus der Anti-Atom-Bewegung, war mit 17 das erste Mal gegen einen CASTOR-Transport im Wendland protestieren und habe im Laufe der Jahre bei verschiedensten Aktionen, Initiativen und Kampagnen mitgemacht. Meist dabei nicht in Massenaktionen, sondern eher in kleineren, selbstorganisierten Aktionsgruppen. Und irgendwann habe ich festgestellt, dass ich einfach nicht mehr daran glaube, dass wenige Politiker*innen etwas Sinnvolles für viele Menschen entscheiden können.
Weil ich glaube, dass zum einen Macht die Ideen und die Menschen korrumpiert, also dass die Verlockungen einer Machtposition so groß sind, dass darüber Überzeugungen verloren gehen und zum anderen, weil ich glaube, dass wir eine andere Welt selber und miteinander aufbauen müssen und dafür nicht auf andere vertrauen sollten.
(Foto unverändert von Wikipedia unter CC BY-SA 3.0 Lizenz)
Tobi Rosswog: Warum hast Du das Buch „Klimakämpfe – wir sind die fucking Zukunft“ geschrieben?
Hanna Poddig: Also die ganz ehrliche Antwort wäre, dass der Verlag mich gefragt hat, ob ich Lust drauf hätte. Aber ich kann ja auch beantworten, warum ich mich entschieden habe, zu der Frage vom Verlag Unrast ja zu sagen: Ich glaube, dass es gerade eine Menge Bücher zu Klimakämpfen gibt, davon greifen allerdings wenige auch die Debatten um die jeweiligen Aktionsformen innerhalb der Bewegung auf. Sowohl Vielfalt als auch Kontroverse zu betrachten erschien mir daher sinnvoll, um Menschen nicht nur einen Einblick zu ermöglichen, sondern ihnen auch zu ermöglichen, zu überlegen, wo darin der eigene Platz sein könnte. Und zum anderen ging es mir auch darum, die Bewegungsdebatte voranzubringen. Ob mir das gelungen ist, müssen andere entscheiden.
Tobi Rosswog: Du beschreibst viele kreative Aktionsformen. Beim Bereich Mobilität sprichst Du beispielsweise von Carwalking, Critical Mass und dem Gehzeug. Was hat es damit auf sich?
Hanna Poddig: Die drei genannten Aktionsformen sind sehr unterschiedliche Methoden, um auf eine verfehlte Verkehrspolitik hinzuweisen. Carwalking beschreibt, über geparkte Autos drüberzulaufen, statt außenrum. Einfach weil die Fußwege der Allgemeinheit gehören und Autos dort nichts zu suchen haben und wenn doch, dann werden sie eben als Fußweg genutzt. Dazu gab es früher tatsächlich auch Workshops, an welche Stellen eines Autos mensch treten muss, damit nichts kaputtgeht. Ist auf jeden Fall eine simple, aber dennoch aufsehenerregende Sache, aber die Autofahrer werden manchmal richtig böse, das sollte mensch im Kopf haben.
Eine critical mass ist eine Fahrraddemo, aber keine streng organisierte, sondern eher eine Verabredung für ein sehr dynamisches gemeinsames Radfahren, um gegen eine auf Autos fokussierte Welt zu protestieren.
Wie viel Platz braucht ein Auto?
(Foto unverändert von System Change not Climate Change unter CC BY-SA 2.0 Lizenz)
Und das Gehzeug ist eine wirklich witzige Erfindung: Eine Lattenkonstruktion zum umhängen, die die Größe eines PKW hat, aber von einer einzelnen Person getragen wird und damit symbolisiert, wie viel Platz Autos tatsächlich wegnehmen.
Tobi Rosswog: Du beschreibst einige Bewegungen? Welche gibt es aktuell und welche machen Dir am meisten Hoffnung?
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Hanna Poddig: Bewegung ist ja schon so ein Begriff, der sehr unterschiedlich verwendet wird. Manche meinen, es gäbe eine Klimabewegung und andere sagen, es gäbe viele Klimabewegungen. Aber eigentlich glaube ich, ist es egal, wie wir es nennen: Da passiert momentan richtig viel und das ist gut so. Am bekanntesten sind im Klimabereich gerade vermutlich die Fridays for Future, Ende Gelände und der nach wie vor besetzte Hambacher Forst. Aber es gibt daneben glücklicherweise noch so viele weitere, dass ich sie hier gar nicht alle aufzählen kann.
Ich glaube aber, am meisten Hoffnung machen mir die Initiativen, die neu entstehen. Also die Gruppen, die statt zum dritten Mal bei Ende Gelände mitzumachen beschließen, eine eigene Aktionsgruppe zu gründen. Und dann zum Beispiel mit Paddelbooten Kreuzfahrtschiffe blockieren oder Gaspipelines besetzen. Oder die im Hambacher Forst beschließen, sich auf den Weg zu machen und einen anderen bedrohten Wald zu besetzen. Selbstbestimmt und mit ganz eigenen Ideen.
Fridays For Future und Extinction Rebellion
Tobi Rosswog: Kurz und knapp: Wie schätzt Du Fridays for Future und Extinction Rebellion (XR) ein?
Hanna Poddig: Sehr unterschiedlich. Bei den Fridays for Future sehe ich große strukturelle Herausforderungen, einfach weil sie so unglaublich schnell gewachsen sind und sich natürlich jetzt auch die Frage stellt, ob sich die Fridays for Future als Ganzes radikalisieren, oder ob einzelne Personen, die sich in den letzten Jahren entschieden haben, auch deutlichere Aktionen machen zu wollen, sich von den Fridays for Future trennen und eigene Wege gehen. Ich denke, das wird die nähere Zukunft zeigen. Insgesamt freue ich mich aber sehr, dass es die Fridays for Future gibt und endlich wieder so viele junge Menschen für ihre Überzeugungen auf die Straße gehen. Der Untertitel meines Buches „Wir sind die fucking Zukunft“ ist übrigens auch ein Zitat einer Aktivistin von fff.
Bei Extinction Rebellion sieht es ganz anders aus. Irgendwie vermittelt mir XR den Eindruck, als gäbe es ein vorgefertigtes Konzept, was alle lokalen Gruppen exakt umzusetzen hätten. Das finde ich schade, weil ich wichtig finde, dass Menschen miteinander ausdiskutieren, was sie warum machen. Und das eben nicht von einer Zentrale übernehmen. Und ich finde, dass XR zu sehr mit Angst arbeitet, das erscheint mir nicht hilfreich. Und dann gab es da natürlich auch noch diese wirklich indiskutablen Holocaustvergleiche, aber von denen hat sich ein großer Teil von XR Deutschland ja zum Glück deutlich distanziert. Trotzdem bleibe ich bei XR skeptisch.
Lass Dich von der Vielfalt inspirieren
Tobi Rosswog: Im Buch gehst Du der Frage nach: „Wie gelingt es uns Menschen statt zur Resignation zum Handeln zu motivieren?“ Und? Wie gelingt es uns?
Hanna Poddig: Ich wünsche mir, dass es – unter anderem – gelingt, indem wir Erfahrungen teilen und Geschichten erzählen. Das ist jedenfalls meine Hoffnung, dass die Vielfalt der dargestellten Aktionsformen Menschen animiert, selbst aktiv zu werden. Aber ein Patentrezept gibt es dafür nicht, denn wir sind ja alle sehr verschieden und so verschieden ist eben auch, was uns motiviert.
Tobi Rosswog: Am Beispiel der Ackerbesetzung im Hessischen Neu Eichenberg schreibst Du von Verbindung von direktem Widerstand und Aufzeigen von Utopien. Wo findest Du das noch? Und was ist daran so wichtig?
Hanna Poddig: Ein klassisches Beispiel, wo sowas noch passiert, sind Hausbesetzungen. Sie sind Widerstand gegen Aufwertung, teuren Wohnens, fehlende Kultureinrichtungen und im gleichen Moment auch Orte, an denen unkommerzielle Kultur stattfinden und Menschen günstig leben können.
Und solche Momente gibt es auch im Kleinen: Wenn bei einer Straßenparty der Beton aufgerissen und ein Baum gepflanzt wird ebenso, wie bei Schulstreiks, die das staatlich verordnete Lernen gezielt zeitweise verweigern und aufzeigen, dass Schüler*innen gemeinsam auf ganz andere Art und Weise ebenfalls lernen können– wahrscheinlich sogar sinnvoller.
So wichtig es ist, Sachen zu kritisieren und sich ihnen in den Weg zu stellen, so unbefriedigend ist das auf Dauer, wenn wir nicht Wege entwickeln, es besser zu machen. Und so wichtig es ist, andere Wege des Miteinanders zu finden, so bedeutungslos sind diese Wege, wenn sie sich nicht gleichzeitig dem bestehenden Wahnsinn in den Weg stellen. Deswegen finde ich diese Verbindungen so wichtig.
Hinterfragen, ausprobieren, selbstbewusstes Nicht-Normal-Sein
Tobi Rosswog: Du schreibst immer wieder von „kulturellem Umdenken“. Was soll umgedacht werden und wie soll das konkret gehen?
Hanna Poddig: Puuuh, schwierige Frage. Ich versuche es mal an einem Beispiel: Für viele Menschen in Deutschland ist es selbstverständlich, dass sie ein eigenes Zimmer haben, in dem sie wohnen. Und das obwohl sie viel unterwegs sind und dieses Zimmer daher die meiste Zeit leer und niemandem sonst zur Verfügung steht. Aber das ist hier eben ganz normal. Stattdessen wäre es aber ja auch möglich, sich Zimmer zu teilen und statt vier Zimmer, die jeweils alles-in-einem-Zimmer sind eine Wohnung so aufzuteilen, dass es ein Rumhäng-Zimmer, eine Werkstatt, ein Büro und ein Schlafzimmer gibt. Das ist in dieser Gesellschaft nur bei verheirateten Menschen normal und bei allen anderen wäre es auffällig. Dabei erscheint es mir so logisch, darüber nachzudenken. Ist bestimmt nicht für alle Menschen der richtige Weg, sich Zimmer funktional zu teilen. Aber es nicht zu diskutieren, weil es nicht normal ist, ist doch traurig, oder?
Oder guckt euch Leute an, die niemals Bahn fahren und alles mit dem Auto machen: Da ist das Auto ganz tief verwurzelt als selbstverständliche erste Option und Bahnfahren oft eine riesige Herausforderung. Dabei ist so offensichtlich, dass eine Auto-Gesellschaft keine gute Idee ist und es ökologischere und solidarische Alternativen braucht und gibt.
So, ich hoffe es ist etwas klar geworden, was ich mit einem kulturellen Umdenken meine. Und wie das geht: Durch Ausprobieren, Solidarität und selbstbewusstes Nicht-Normal-Sein.
Tobi Rosswog: Danke Dir sehr, liebe Hanna.
Was probierst Du schon aus, um unsere Zukunft zu gestalten?
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Das ist defitnitv ein sehr lesenswertes Buch für jeden der sich ernsthaft mit Klimaschutz auseinandersetzen will.
BG M. von Radkurier24.com