Ein Essay von Jean-Martin Fortier
Wenn wir heute über die Landwirtschaft der Zukunft sprechen, erzählen wir häufig von Farmen in Schiffscontainern, deren Pflanzen nicht mehr in Erde, sondern nur in Wasser und Nährlösung wachsen. Wir erzählen von vertikalen Gärten, die an Wolkenkratzern emporwachsen, oder von robotergesteuerten, fabrikähnlichen Produktionsanlagen, die sich meilenweit in der Wüste, unter Wasser oder sogar auf anderen Planeten erstrecken. Diese sogenannten Lösungen mögen spannend klingen, zeigen aber auch unsere Abkopplung von der Natur. Wir täuschen uns, wenn wir glauben, dass sie einen Weg zur Entwicklung eines langfristig lebenserhaltenden Ernährungssystems und Kultur bieten. Wir müssen viel einfacher denken, wenn wir eine lebensfähige Zukunft für die nächsten Generationen gestalten wollen.
Die Zukunft der Landwirtschaft wird von Menschen bestimmt werden, nicht von der Technologie – von einer neuen Generation von Landwirt*innen, die sich kleinräumige, ökologische, uns alle gut ernährende Anbautechniken zu eigen machen.
Sie wird durch kritisch hinterfragende Menschen mitbestimmt werden, die nach einer Alternative suchen, weil sie keine industriell erzeugten Lebensmittel essen wollen. Durch Menschen, die aufwachen und die Zerstörung durch die industrielle Landwirtschaft sehen: Giftige Pestizide, die in Verbindung mit der Entstehung von Krebs und anderen Krankheiten stehen. Der drastische Verlust der biologischen Vielfalt. Die Verschmutzung unserer Gewässer. Gentechnik.
Denn bereits jetzt legen viele von uns Wert darauf, sich gesund, regional und biologisch zu ernähren. Und immer mehr Menschen haben den Wunsch, ihren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern und mit den Menschen in Kontakt zu treten, die ihre Lebensmittel anbauen.
Gesündere Nutzpflanzen durch kleinere Betriebe
Ich arbeite seit über 15 Jahren auf einer kleinen Fläche biologisch und profitabel. Die Landwirtschaft der Zukunft, die ich mir vorstelle, erfordert kein Ingenieurstudium, sondern einfach ein offenes Herz und die Bereitschaft, sich für Veränderungen einzusetzen. Diese Zukunft wird von Menschen eingeleitet werden, die sich berufen fühlen, ihre Tage im Freien zu verbringen, mit Händen und Füßen im erdigen Boden, direkt mit den Kräften der Natur zu arbeiten und einen spürbaren Beitrag zum Wohlergehen ihrer Region zu leisten.
Während die landwirtschaftlichen Betriebe immer größer werden und die alternden Landwirte darum kämpfen, die jüngere Generation zu motivieren, ihre industrialisierten, mechanisierten und kapitalintensiven landwirtschaftlichen Betriebe weiterzuführen, erleben wir eine Welle intelligenter und engagierter junger Menschen, die neu erfinden, was es heißt, Landwirt*in zu sein.
Auf meinen Farmen praktizieren wir die sogenannte biointensive Landwirtschaft. Das bedeutet, dass unser Ziel darin bestehen, durch unser Arbeiten einen lebendigen Boden zu schaffen und mit den Kräften der Natur zu arbeiten, um auf kleinen Flächen maximale Erträge zu erzielen. Ich bezeichne mich gerne als „professionellen Regenwurm-Lebensraum-Gestalter“, denn ich weiß: Je mehr Regenwürmer ich sehe, desto lebendiger und fruchtbarer ist mein Land.
Um das Bodenleben zu fördern, folgen wir einigen einfachen, aber wirkungsvollen Prinzipien. Als erstes bauen wir dauerhafte erhöhte Beete. Wenn diese einmal angelegt sind, wenden wir den Boden nicht mehr. So bleibt das Netzwerk des Lebens innerhalb dieser Beete intakt. Außerdem setzen wir unsere Pflanzen mit geringeren Abständen zueinander, um ein Blätterdach zu schaffen, das das Licht vom Boden dazwischen abschirmt. So können Beikräuter weniger gut aufwachsen und den Regenwürmern wird die kühle und dunkle Umgebung geboten, die sie lieben. Quasi ein lebendiger Mulch.
Ein weiterer wichtiger Aspekt unserer Anbaumethode ist der menschliche Faktor. Das heißt, dass die Gestaltung des Betriebs, die Anordnung der Beete, der Abstand zwischen den Anlagen, die Werkzeuge, Systeme und Methoden an die Menschen angepasst werden, die auf dem Betrieb arbeiten. Im Gegensatz zur industriellen Landwirtschaft, bei der sich alles um den Traktor dreht, zielen wir darauf ab, den landwirtschaftlichen Betrieb so zu optimieren, dass ein funktionaler und schöner Lebensraum für die Landwirt*innen entsteht.
Landwirtschaft ist harte Arbeit. Aber es ist auch sinnvolle Arbeit. Jede Woche, wenn ich meine Produkte auf dem Bauernmarkt verkaufe, erhalte ich Anerkennung von dankbaren Kunden, die den Wert von mit Sorgfalt angebauten Lebensmitteln verstehen. Das berührt mich und gibt mir die Woche über Kraft, wenn es durch Regen, Wind und Dürre auch mal besonders hart ist.
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Von anderen lernen, auch von der Natur
In der Lage zu sein, Menschen mit gesunden Lebensmitteln zu ernähren, ermöglicht einen wirklich revolutionären Akt.
Wenn Du 70 Prozent Deines Lebens mit Arbeit verbringst, wie möchtest Du sie dann gestalten? Willst Du harte, aber befriedigende Arbeit verrichten oder einfach nur mitmachen, um Dein Auskommen zu haben?
Willst Du Deine Tage vor einem Computerbildschirm verbringen oder lieber draußen sein, mit Pflanzen, Blumen, Vögeln und Schmetterlingen? Gibt es nicht mehr in Deinem Leben, als Geld zu verdienen und ein falsches Gefühl der Sicherheit zu haben?
Als ich jung war, wollte ich die Welt verändern. Ich studierte Umweltwissenschaften, reiste, pflanzte Bäume, sammelte Pilze, baute ökologische Gebäude und arbeitete auf Kaffeeplantagen. Aber als ich diese besondere Art der Landwirtschaft entdeckte, passte schließlich alles zusammen.
Meine Partnerin Maude-Hélène und ich waren in New Mexico unterwegs, als wir einen französisch-kanadischen Bauern trafen, der auf einer kleinen Fläche Gemüse anbaute und es auf einem lokalen Bauernmarkt verkaufte. Später machten wir ein Praktikum auf seiner Farm, und ich sah, wie einfach und schön dieses Leben war: Wir bearbeiteten das Land unter der Woche und brachten am Wochenende Gemüse auf den Markt. Wir erwirtschafteten auch ein angemessenes Einkommen. Die Kundinnen dankten uns und sagten, sie schlössen uns in ihre täglichen Gebete ein.
Ich erlebte, dass die Landwirtschaft meinen Wunsch nach sinnvoller Arbeit erfüllt – der Anbau von Nahrungsmitteln für meine Gemeinde ist etwas, auf das ich stolz sein kann – und sie erfüllt mein Bedürfnis, draußen in den Elementen zu sein, wo ich von der Natur lernen kann. Ich hatte meinen Platz gefunden.
Als wir nach Québec zurückkamen, begannen wir auf gepachtetem Land zu arbeiten, während wir mit unserem kleinen Sohn in einem Tipi lebten. Wir haben hart gearbeitet und viele Fehler gemacht. Wir lernten viel durch direkte Beobachtung und auch von denen, die vor uns gekommen waren. Wir lasen tonnenweise Bücher und reisten so viel wie möglich, um Bauernhöfe zu besuchen und Personen zu treffen, die unsere Mentoren werden sollten, wie zum Beispiel Eliot Coleman, ein Pionier der biologischen Landwirtschaft aus Maine, der im Alleingang Praktiken für eine kleinstrukturierte Landwirtschaft revolutionierte und sie profitabel machte.
Vor 15 Jahren haben wir unseren Bauernhof „Les jardins de la grelinette“ gekauft, und im Laufe der Jahre ist er zu einem Beispiel dafür geworden, was eine produktive Mikrofarm sein kann. Der Wunsch, diesen schönen Beruf und Lebensstil mit anderen zu teilen, hat mich dazu bewogen, mein Buch „The Market Gardener“ zu schreiben, das so großen Anklang gefunden hat, wie ich mir nicht hätte vorstellen können. Ich glaube, dass mein Buch bei den Leserinnen so beliebt ist, weil es nicht nur ein vollständiges Modell für die Landwirtschaft bietet, sondern auch einen Weg nach vorn für diejenigen, die sich nach einem Leben näher an der Natur sehnen.
All dies führte schließlich zu meinem aktuellen Projekt „La Ferme des Quatre-Temps“. Einer experimentellen Farm, die von wohlhabenden Philanthropen hier in Québec gegründet wurde. Ihr Ziel ist es zu zeigen, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen könnte. Anfangs zögerte ich, das Projekt in Angriff zu nehmen. Aber dann erkannte ich es als Gelegenheit, größere Gruppen junger Menschen auszubilden, um die Idee der Mikro-Farm weiterzutragen. Einige von ihnen haben bereits ihre eigenen Farmen gegründet und auf ihre eigene Art und Weise innovativ weiterentwickelt.
Die neuen Bäuerinnen und Bauern
Während ich weiterhin um die Welt reise, um andere über das von uns entwickelte Landwirtschaftsmodell zu unterrichten, treffe ich auf aufgeweckte junge Menschen, die begeistert diese Revolution der guten Lebensmittel und des guten Lebens leben. Einige dieser jungen Landwirt*innen haben sogar erfolgreiche Karrieren aufgegeben, um ihre eigenen landwirtschaftlichen Betriebe zu gründen und diesen Beruf zu erlernen.
Einige sind ehemalige Mountainbiker, Surferinnen, Skater und Snowboarderinnen. Andere waren Jurist*innen, Ingenieurinnen oder hochverdienende Facharbeiter, die nachdem sie ein Buch gelesen, eine Fernsehsendung gesehen oder an einer Konferenz teilgenommen hatten, inspiriert wurden, mit der Landwirtschaft zu beginnen.
Einige begannen klein, mit einer ein Hektar großen Gärtnerei, und verkauften Gemüse direkt an ihre Freunde und Familie. Andere gründeten größere, vielfältige landwirtschaftliche Betriebe, die Tiere, Obstbäume, Bienenvölker und Blumen umfassen. Einige verkaufen ihre Produkte in Form einer CSA (= Solidarische Landwirtschaft) ein einen festen Kreis aus Unterstützer*innen des Betriebs, andere direkt an Köch*innen und Restaurants.
Jeder Mensch, der diese Art der Landwirtschaft betreiben will, steht vor anderen Herausforderungen. Aber uns eint unsere Vision, mit den Kräften der Natur zu arbeiten, anstatt sie mit Chemikalien zu bekämpfen. Und wir alle müssen unseren Kundenstamm auf die gleiche Weise aufbauen: über Beziehungspflege.
Wir treffen Einzelpersonen auf den lokalen Bauernmärkten; wir gehen mit Kisten voller Produkte zu den Restaurants vor Ort; wir sprechen mit den Köch*innen und fragen sie nach ihren Bedürfnissen; wir werden mit allen in unserer lokalen Gemeinschaft bekannt.
Um diese landwirtschaftliche Zukunft aufzubauen, müssen wir eine Generation inspirieren, ausbilden, beraten und befähigen, die sich nach einem alternativen Lebensstil sehnt, der sie näher an die Natur und weiter weg von der landwirtschaftlich-industriellen Gegenwart bringt.
Wir als Bewegung müssen verbreiten wie schön und bereichernd es für Bäuer*innen ist, für Menschen anzubauen, die die Qualität von sorgfältig angebauten Lebensmitteln sehen, schmecken, riechen und fühlen wollen.
An jede und jeden von Euch, die in irgendeiner Form diese Berufung spürt: Du bist Teil dieser Bewegung.
Du und ich, wir sind die Zukunft der Landwirtschaft.
Dieses Essay wurde von Jean-Martin Fortier geschrieben. Sein preisgekröntes Buch „The Market Gardener“ hat Hunderttausende von Lesern weltweit dazu inspiriert, neu über ökologische Lebensmittelsysteme in menschlichem Maßstab nachzudenken. Zusammen mit seiner Frau Maude-Hélène Desroches ist er Mitbegründer der Mikrofarm Les jardins de la grelinette und Geschäftsführer der Ferme des Quatre-Temps in Süd-Quebec. Im Jahr 2017 startete er zusammen mit seiner Geschäftspartnerin Suleyka Montpetit die Market Gardener’s Masterclass, einen Online-Kurs für professionelle Gemüsegärtner*innen.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch im BESIDE Magazine.
Mich freuen solche Artikel immer, welche aufzeigen, dass es auch anders geht.
Allerdings sehe ich generell das Problem nur zum Teil in der Landwirtschaft. Das Problem liegt darin, dass uns Tag für Tag Grünland in jeglicher Form verloren geht, nämlich zwischen 15 und 20 Hektar täglich.
Ich sehe den ersten Schritt sogar noch kleinflächiger, nämlich in den Gärten der Einfamilienhäuser. Statt grüner Wiese, natürlich vom Roboter gemäht und immer der gleichen Kirschlorbeerhecke wären hier wieder Gärten, egal in welcher Ausprägung ein Schritt in eine Zukunft, wo Lebensmittel nicht im Supermarkt in Plastikschalen wachsen, sondern im eigenen Garten.
Endlich eines der raren Exemplare Mensch, die nicht jammern, mit Schildern auf der Straße rumstehen und mit dem Finger auf andere zeigen, damit diese endlich etwas unternehmen. Jemand, der seine Zeit und Energie dafür einsetzt, etwas zu erschaffen – und nicht gegen etwas zu kämpfen. Ein vorherrschendes System dadurch zu ändern indem man es bekämpft hat meist viele Opfer und Kollateralschäden zur Folge. Die andere Möglichkeit ist eben diese hier vorgestellte – kreiere ein eigenes System, daß das Alte überflüssig macht. Diese „Kleinteiligkeit“ wird nicht nur in der Landwirtschaft der Schlüssel für ein zukunftsfähiges System sein.
Wir Menschen haben geschafft, dass wir von den Grosstieren nicht gefressen werden, wir sind geschützt in unseren Häusern. Glechzeitig sind wir winzige Virus Arten unterlegen. Wir kennen unsere Umwelt nicht, Unsere Umwelt besteht nicht nur anderen Menschen und Wildtieren, Haustieren, sondern Bäumen, Pflanzen, andere Tieren,Virus, Bakterien und und und. Wir sollten uns sagen, dass wir nicht alleine in dieser Welt sund. Wenn wir anfangen, die Lebensräume anderer Lebewesen zu respektieren und zu verstehen, sehen wir , dass wir auch winzige Lebewesen im Universum sind. Das ist eine Erleichterung gleichzeitig. Wir sind nicht die Herren der Welt, sondern Mitreisende im ganzen Universum.Wir können anfangen, die Schulen udn Bildungsstäätte mit Wissen über Tiere, Pflanzen, Bakterien mehr zu füllen und zu forschen anstelle immer mit Menschensicht zu arbeiten. Eine Abwechslung tut uns allen gut.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Klein-Klein-Landwirtschaft im Verhältnis genauso so große nicht-bäuerliche Bevölkerungen ernähren kann wie die gegenwärtige industrialisierte Landwirtschaft – es würden dann wieder sehr viel mehr Menschen als heute Bauern sein müssen, und das hieße für diese Menschen in der Regel, ein Leben lang an ihre Scholle gefesselt zu sein, da ist dann nichts mehr mit Surfen, Skaten, Mountainbiken und Snowboarden, dann kratzt man Tag für Tag, Jahr um Jahr mit primitivem Gerät in der Erde herum, um abends todmüde einen Teller Suppe essen zu können…
Nein, da bevorzuge ich doch die technofuturistische Version von Zukunft, vollsynthetisches Hyperfood aus dem 3D-Drucker, Nanobots in der Blutbahn, die uns zu unkaputtbaren Superkörpern und relativer Unsterblichkeit verhelfen werden, vollimmersive Cyberwelten dank Hirn-Maschine-Kopplung, Weltraumtourismus (Mountainbike-Touren durch die Mars-Canyons, Muskelkraft-Flug und Methan-Surfen auf Titan…) und interstellare Expeditionen… das alternative Ökobauern-Leben kann es ja dann meinetwegen als Hypergame per bioelektronischem Hirnimplantat geben (wie auch jede andere Form exzentrischer Lebensstile), sogar so perfekt simuliert, dass das Bewusstsein, „nur“ ein Computerspiel zu spielen, für die Dauer der Nutzung ausgeschaltet ist!
Meinst du das dies dich auch glücklich macht?
Auch wen es für den ein oder anderen schwehr zu glauben erscheint; aber wir Menschen bestehen auch nur aus Erde. ;)
Grüss dich
Nun, ich weiß nicht, ob das ernst gemeint ist. Wenn ja, müsste ich als Ferndiagnose sagen, ein typischer Vertreter der heutigen Spaßgesellschaft mit dem kindlichen Glauben an die technische Allmacht des Menschen.
Kindlich ist eher die Vorstellung, man könnte die technisch-industrielle Art des Wirtschaftens verlassen und trotzdem an unseren heutigen Vorstellungen von Menschenwürde, Menschenrechten, Demokratie, Individualismus und Selbstverwirklichung (Surfen, Skaten, Mountainbiken, Snowboarden) festhalten – das alles wird man sich schlichtweg nicht mehr leisten können! Ein Blick nach z. B. Afghanistan könnte da helfen…
Eventuell wird es auch irgendwo in der Mitte sein… lustvolle Genügsamkeit, Reduktion unnötigen Konsums (und da findet jede*r was, wenn sie oder er nur mal genau auf den eigenen Konsum schaut), etc. – und den ökologischen Fußabdruck des Rests, den wir dann immer noch gut gelaunt und fröhlich und gesund konsumieren, müssen wir vielleicht über Technologie stark reduzieren.
Die politische Mitbestimmung und die Bürger*innen*rechte werden in den westlichen Ländern derzeit nicht durch Reduktion von Technologie und Industrie gefährdet, sondern durch verschiedene Spaltungen der Gesellschaft, wovon zumindest die Vermögensschere erst durch ein konzentriertes, fehlgesteuertes kapitalistisches System bewirkt wurde. Hier braucht es Übungsfelder der Mitbestimmung (Wandel-Projekte, Genossenschaften, politische Beteiligungsprozesse), damit aus Konsument*innen wieder vermehrt Bürger*innen werden, die ihre Rechte und ihre Möglichkeiten auch wahrnehmen.
Es gibt ja nicht nur schwarz und weiß – sprich Traktor oder Grabstock. Es wird wohl auch eine Lösung geben, die eine verträgliche/nachhaltige Landwirtschaft mit genug Erträgen und ohne sich täglich krumm zu arbeiten ermöglicht. Es liegt eben auch an der Menge die produziert werden „muss“. Wenn allein im EU-Raum etwa ein Drittel der essbaren Lebensmittel weggeschmissen werden hätte man da schon einen gewissen Spielraum. Interessant ist auch, daß die meisten Menschen zwar gesunde, biologische Lebensmittel haben wollen aber die Hände sollen sich im wahrsten Sinn des Wortes andere schmutzig machen. Das in unserer Gesellschaft, für die Selbstverwirklichung und Spaß ganz oben auf der Prioritätenliste steht, die Angst „an etwas gefesselt“ zu sein naturgemäß groß ist, verstehe ich. Bei den Rechten schreien alle immer sofort hysterisch auf, bei den Pflichten wird es da schon merklich ruhiger.
Was Menschenwürde und Demokratie mit der technisch-industriellen Landwirtschaft zu tun haben, könntest du vielleicht näher ausführen (?).
Und auch das Beispiel Afghanistan, ein „Staat“, dessen gegenwärtigen Grenzen Ende des 19. Jahrhunderts festgelegt wurden durch das Ergebnis kolonialer Auseinandersetzungen zwischen dem zaristischen Russland und Britisch-Indien und dadurch die Aufgabe eines Pufferstaates hatte, ist mir nicht ganz klar. Zudem sind die Möglichkeiten für Landwirtschaft (vor allem der Anbau von Pflanzen) stark eingeschränkt (Gebirge – Hindukusch). Da die Grenzziehung der ehemaligen Kolonialmächte recht willkürlich vorgenommen wurde (ohne Rücksicht auf die dort lebenden Stämme und ihre Siedlungsgebiete) fühlen und erkennen viele „Afghanen“ sich nicht als solche und verweigern auch der Zentralregierung großteils ihre Gefolgschaft. Die jahrzehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen sowie eine Religion, die die Menschen unwissend hält, tun ihr übriges damit Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt ist und bleibt.
Nun ja, in traditionellen Gesellschaften mit vorindustrieller Produktionsbasis ist es regelmäßig so, dass der Einzelne und seine Interessen dem Wohl der Gemeinschaft völlig untergeordnet ist – egal, ob das jetzt europäisches Mittelalter, islamischer Orient, Indien, China oder selbst das vermeintlich paradiesische Polynesien ist. Ich bin zwar kein Marxist, aber die marxistische These, nach der das Sein das Bewusstsein bestimmt, hat durchaus (innerhalb gewisser Grenzen! Nicht als totaler Determinismus!) ihre Berechtigung… wenn man sich z. B. vor Augen führt, dass die Emanzipation der Frau auf breiter Front erst mit der Mechanisierung und Elektrifizierung der Hausarbeit beginnen konnte – solange frau sieben Tage die Woche von früh bis spät mit Waschen und Kochen beschäftigt war (wie heute noch in Ländern wie eben Afghanistan), war an so etwas wie Selbstentfaltung oder gar außerhäusliche Emanzipation durch eigene Erwerbsarbeit, politische oder künstlerische Aktivität gar nicht zu denken. Polemisch ausgedrückt: Miele, Bosch und Bauknecht (und Carl Djerassi, der Erfinder der „Pille“!) haben wahrscheinlich mehr zur Frauenemanzipation beigetragen und tragen bis heute bei als Emma, Alice Schwarzer, die Riot Grrrrrls und #Aufschrei…
Die in den letzten 50 Jahren zugenommene Toleranz gegenüber anderen Arten zu leben, gesellschaftlichen Minderheiten und fremden Kulturkreisen (ironischerweise auch solchen mit vorindustriell-archaischen Wertvorstellungen, und nein, damit meine ich längst nicht nur den islamischen Kulturkreis!) wäre ohne den durch den technischen Fortschritt ermöglichten Zuwachs an Freizeit und Reisemöglichkeiten ebenfalls kaum denkbar.
Solange „alternativ leben“ nicht fundamentalistisches „Zurück zur Natur“ mit Ablehnung moderner Technologien bedeutet mag es durchaus eine auch gesamtgesellschaftlich lebbare Synthese zwischen „Holz und Neon“ (wie es Matthias Horx in den 1980er Jahren mal ausgedrückt hat, in „Die wilden Achtziger“) darstellen und befördern… wenn ich mir hingegen den antitechnischen Dilettantismus vieler Landkommunen vor 40 Jahren ansehe (und obendrauf dann noch den Anspruch, zugleich antikapitalistische revolutionäre Zelle und psychotherapeutisches Heilprojekt zu sein…), wird mir klar, wieso dieses Lebensmodell damals eine Nischenangelegenheit blieb.
Hallo Yagdar, zum Einen gibt es auch „größere“ Versuche, dem Land auf eine Weise Nahrung abzugewinnen, die den Boden schützt, statt ihn auszubeuten (Regenerative Landwirtschaft, https://www.regenerative-landwirtschaft.net/viewforum.php?f=13 , Sammelthread),
zum Anderen ist es auch gut, wenn viele Menschen auf reale Weise wissen, wie „Boden funktioniert“ – und dass es seine Zeit dauert, von der Saat zur Ernte.
Der Glaube an „Lila Kühe“ ist ja ziemlich verbreitet.
Zum Dritten ist deine Argumentation ein wenig so, als wäre Techno Musik besser, weil sie lauter ist – aber der Zweck von Musik ist es nicht, laut zu sein, sondern schön.
Und das wird sie nicht davon, dass mehr Leute sie hören können.
Natürlich hat Musik den Vorteil niemanden satt machen zu müssen – aber denkst du bei deiner Argumentation an die Hörer oder an die Spieler?
Hier im Westen wäre es schön, das Bauern Mobbing zu reduzieren (durch Kenntnis der Schwierigkeiten und mehr Achtsamkeit für die Verarbeitung) – und weniger entwickelte Länder könnten auf diesem Weg dem Konsumrausch etwas entgegen setzen.
Als „Spieler“, nicht als „Hörer“.
Der link, den ich eingefügt habe, funktioniert nicht, bzw. nicht mehr, da das „Forum für regenerative Landwirtschaft“ kurz vor Weihnachten mit einem anderen Forum („Ziegentreff de.“) zusammen gefügt wurde.
Es heißt nun „Weidewelt“. https://weidewelt.org/viewforum.php?f=82 Der link müsste zu dem Board gehen, in dem am meisten über verschiedene (größere) alternativ wirtschaftende Landwirte steht.
(Bei „Weidetieren“ geht es auch nicht nur um die Tiere, sondern den Einfluss der Beweidung auf den Boden.)