Haben oder Sein

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Von Michael Voit (geb. Hartl)
7. Dezember 2011

Dies könnte man schon als eine unserer ganz grundlegenden Fragen sehen, die uns leitet. Wollen wir immer mehr haben – uns überhaupt an Besitz und Materielles binden – oder wollen wir Sein?

Das gleichnamige Buch von Erich Fromm, einem der wohl wichtigsten Humanist*innen des letzten Jahrhunderts, behandelt auf seinen rund zweihundert Seiten diese Frage. Und ist aus meiner Sicht die wohl beste Einführung in die „Lebensweise des Seins“, wie Fromm es nennt, die wohl als eine der absoluten Grundlagen für ein gelingendes (Selbstversorger*innen-)Leben gelten darf.

Selbstsucht und Altruismus

Haben oder Sein 1

Erich Fromm selbst schreibt im Vorwort, dass sich das Buch auf die Analyse von Selbstsucht und Altruismus, als zwei grundlegende Charakterorientierung, konzentriert. Diese beiden Eigenschaften sind Beispiele für die Unterschiede von „Haben“ und „Sein“. Durch die verschiedenen Kapitel zeigt Fromm dann aus verschiedensten Betrachtungsweisen, worin sich die Unterschiede der beiden Lebensweisen zeigen, welche Folgen sie haben und zeichnet abschließend dann seine Vision einer humanisitschen, am Sein orientierten Gesellschaft.

Aus seiner Sicht ist die Orientierung der meisten Individuen und der Gesamtgesellschaft am „Haben“, also Materielles, Gier, Geiz, Konkurrenz, Profit, Kapitalismus und so weiter, nicht nur schädlich, es mache die Beteiligten krank. Ein Beispiel, wie er in „Haben“ und „Sein“ unterscheidet, möchte ich mit einer meiner Lieblingsstellen aus dem Buch zeigen:

Kann man Liebe haben? Wenn man das könnte, wäre Liebe ein Ding, eine Substanz, mithin etwas, was man haben und besitzen kann. Die Warheit ist, dass es kein solches Ding wie „Liebe“ gibt. „Liebe“ ist eine Abstraktion. […] In Wirklichkeit gibt es nur den Akt des Liebens. Lieben ist ein produktives Tätigsein [so nennt E. Fromm eine der Kerneigenschaften des „Seins“], es impliziert, für jemanden (oder etwas) zu sorgen, ihn zu kennen, auf ihn einzugehen, ihn zu bestätigen, sich an ihm zu erfreuen – sei es ein Mensch, ein Baum, ein Bild, eine Idee. Es bedeutet, ihn (sie, es) zum Leben zu erwecken, seine (ihre) Lebendigkeit zu steigern. Es ist ein Prozess, der einen erneuert und wachsen lässt.

Wird Liebe aber in der Weise des Habens erlebt, so bedeutet dies, das Objekt, das man „liebt“, einzuschränken, gefangenzunehmen oder zu kotrollieren. Eine solche Liebe ist erwürgend, lähmend, erstickend, tötend statt belebend. Was als Liebe bezeichnet wird, ist meist ein Missbrauch des Wortes, um zu verschleiern, dass in Wirklichkeit nicht geliebt wird.

Das wichtigste Buch meines Lebens

Ich selbst habe das Buch in meinem Leben bis jetzt drei Mal gelesen – in meiner Jugend, mit Anfang Zwanzig und mit Ende Zwanzig. Jedes Mal haben mir andere Aspekte in meiner persönlichen Entwicklung geholfen, die Erich Fromm hervorhebt. Das schöne an dem Buch ist, dass er in hohem Alter ein Buch schreiben wollte, dass seine wichtigste Erkenntnis in einer für „Nicht-Gelehrte“ zugänglichen Weise vermitteln sollte – und es ist ihm gelungen.

Die wichtige Erkenntnis, die durch dieses Buch in einer tiefen und verständlichen Weise vermittelt wird, kann sicher auch über den Buddhismus, die christliche Mystik oder weitere Quellen erreicht werden. Aber Erich Fromms Weg ist vielleicht für viele Menschen eine Abkürzung.

Haben oder Sein 2

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14 Gedanken über “Haben oder Sein

  1. Ursa Reichel

    Ich bin auf diese Webseite durch Zufall gelangt. In einem Beitrag im Forum gutefrage.net ( wo ich viele vor allem jungen Menschen versuche, einen Rat zu geben), tauchte der Link zu dieser Seite auf.

    Zu Erich Fromm:
    Er halt mein Leben sehr beeinflusst und ist neben Max Frisch für mich einer der wichtigsten Autoren der letzten 30 Jahren.

  2. Fritz

    Sein oder Haben stellt eben die zwei extreme der Lebenswege dar, einerseits das Streben nach Materiellem mit allen Pro und Conters sowie Machtgier und andererseits die Selbstverwirklichung als Mensch, bei dem jedoch zumindest in der Wirklichkeit nicht immer auf Materielles so verzichtet werden muss; dieses Buch ist auch deshalb empfehlenswert, weil die Gehässigkeiten der Mitmenschen verständlicher werden

  3. Dieter Wolf

    Haben oder Sein, ein wahrlich inspirierendes Buch und heute aktueller denn je. Bin gerade dabei, es zum 2. Mal zu lesen.
    Ich hoffe, dass immer mehr Menschen – aus ökologischen, sozialen und auch aus medizinischen Gründen – den achtsamen und humaneren Weg des Seins tendenziell mehr beschreiten als den (selbst-)zerstörerischen Weg des Habens.
    Passend zum Thema habe ich auf meinem Blog einen Artikel veröffentlicht:
    http://www.homoeopathiewolf.de/warum-die-anbetung-des-mammon-nicht-wirklich-glueck-erzeugt-und-sinn-verleiht/

  4. Claudia Sagmeister

    Ist schon notiert,werde mir diese Buch demnächst besorgen.
    Ich finde euer Projekt großartig.Lebe zwar in der Großstadt (Wien),aber auch hier ist es möglich alternative Wege zu gehen.Bin bei einem Talente-tauschkreis Mitglied,bei einem Handarbeitskreis,habe einen Schrebergarten(meine Oase,mein Heiligtum),befasse mich mit Minimalismus und bin ständig dabei,alles auszumisten was ich nich brauche.

    Sokrates sagte,als er die Entladung eines Handelsschiffes beobachtete:
    Jetzt weiß ich was ich alles nicht brauche!!!
    Liebe Grüße aus Wien,bin fast täglich auf eurer Seit seit ich sie entdeckt habe.
    Eure Claudia Sagmeister

  5. Nico Roumeliotis

    Bin gerade auf eure Webseite gest0ßen. Sehr inspirierend! Und nun lese ich, dass Ihr eines meiner Lienblingsbücher positiv erwähnt… jedem, dem ich bis jetzt davon erzählte kannte es nicht oder fand das Thema nicht sonderlich interessant. Welch Lichtblick!

    Finde euer Projekt großartig!
    Danke für die tollen Beiträge.

  6. Carsten Hintz

    Großartig. Durch Zufall finde ich Eure Webseite in den endlosen Weiten und dann auch noch einen Artikel über das Lieblingsbuch meiner Jugend.

    Ich habe Fromm auch mit <20 und mit Ende 20 gelesen. Ich denke, es ist nun mit bald 41 wieder an der Zeit "Haben oder Sein" zur Hand zu nehmen und mich erneut inspirieren zu lassen.

    Ich werde hier mal weiter stöbern und ein regemäßiger Gast in Eurem Blog sein.

    Beste Grüße und schon mal Danke für den bislang besten Moment des Tages.

      1. Rene

        Hallo Michael, ich glaube er hat es nach "Haben oder Sein" geschrieben.
        Meines Wissens nach erschien "Haben oder Sein" erstmals 1976 und "Vom Haben zum Sein" viel später. Meine Ausgabe davon ist von 2005 – glaube die erste Ausgabe davon war aber 1991.
        Ich habe beide gelesen. Kennt man das erstere, interpretiert man das letztere als Nachfolger. Man kann die beiden Bücher aber auch unabhängig voneinander lesen.

        Beide sind auf jeden Fall eine Empfehlung wert.

        lg Rene

    1. Dieter Wolf

      Haben oder Sein, ein wahrlich inspirierendes Buch und heute aktueller denn je. Bin gerade dabei, es zum 2. Mal zu lesen.
      Ich hoffe, dass immer mehr Menschen – aus ökologischen, sozialen und auch aus medizinischen Gründen – den achtsamen und humaneren Weg des Seins tendenziell mehr beschreiten als den (selbst-)zerstörerischen Weg des Habens.
      Passend zum Thema habe ich auf meinem Blog einen Artikel veröffentlicht:
      http://www.homoeopathiewolf.de/warum-die-anbetung-des-mammon-nicht-wirklich-glueck-erzeugt-und-sinn-verleiht

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