Genossenschaftliche, verpackungsfreie Bio-Hafermilch & mehr

Wie Unternehmer*innentum und Kapitalismuskritik zusammenspielen können

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Von Tobi Rosswog
4. Dezember 2020

Auf der Website von Havelmi*** finde ich den Slogan „Dein frischer Haferdrink aus Brandenburg. Lecker, biologisch, vegan. Und regional. Und in Glasflaschen.“ Dort lese ich von weiteren Stichpunkten wie transparent, kooperativ, nachhaltig oder auch Postwachstum. Super spannend. Mit dem Gründer Paavo Günther durfte ich ein Interview machen. Los gehts!

Tobi Rosswog: Stell Dich bitte kurz vor.

Paavo Günther: Ich bin Paavo Günther, 34 Jahre alt und einer der Gründer der Havelmi-Genossenschaft. In meinem ersten Berufsleben war (und bin) ich professioneller Schlagzeuger. Über Foodsharing und Bildung für nachhaltige Entwicklung kam ich zum Thema Ernährung und damit zur Grundlage von Havelmi.

Havelmi*** Gründer Paavo Günther auf dem Transportrad
Havelmi*** Gründer Paavo Günther auf dem Transportrad

Tobi Rosswog: Was ist Havelmi und warum hast Du es gemacht? Und: Wie kamst Du darauf?

Paavo Günther: Havelmi* ist der konsequent regionale Bioland-Haferdrink in Mehrwegglasflaschen für Ostdeutschland. Mit besonders nachhaltigen Produkten möchte sich unsere Genossenschaft von den gängigen Marken absetzen und noch ökologischer agieren. Als Musiker und Konsument habe ich jahrelang einen Lebensstil gepflegt, in dem Bedürfniserzeugung und -befriedigung durch das mysteriöse Wesen des Marktes ein schlüssiges Modell waren. Zwar hatte ich schon in der Kindheit zahlreiche Berührungspunkte mit nachhaltigem Gedankengut (z.B. die Reparatur- und Bewahrungsmentalität der Ex-DDR, einige Jahre in der Deutschen Waldjugend oder das immer schon gespaltene Verhältnis zu Konstrukten wie Mode). Aber erst durch das Lesen von Büchern wie „Glücklich ohne Geld“ oder „Work: Kapitalismus.Wirtschaft.Widerstand“, eine mehrmonatige Tour als Mietmusiker und damit verbunden viel Zeit für Selbstreflexion wachte ich sozusagen auf und fing an, das kapitalistische Wertesystem grundlegend zu hinterfragen. Seit 2015 engagiere ich mich bei Foodsharing. Und von da ging es über Umsonstläden, vegane Cafés, alternative Wirtschaftstheorien und -praktiken immer mehr in Richtung eigenes Projekt. Denn mir fehlte schon als Schlagzeuger – insbesondere durch den finanziellen Druck der Selbstständigkeit – eines ganz besonders: Selbstverwirklichung.

Mit Havelmi* ergab sich die Möglichkeit, genau diese mit einem ganzheitlichen, enkeltauglichen und auch noch leckeren Anspruch zu verknüpfen.

HAVELMi*** Logo
HAVELMi*** Logo

Tobi Rosswog: Warum fiel die Wahl auf einen Haferdrink?

Paavo Günther: Das ist mehr oder weniger Zufall. Ich trinke keinen Kaffee, bin aber auf jeder noch so reflektierten Nachhaltigkeitsveranstaltung immer wieder damit konfrontiert. Da mir einfach Milchalternativen gut schmecken, trinke ich sie für gewöhnlich auf solchen Veranstaltungen pur. Das führte schon mehrfach zu Irritationen. Waren doch die zwei Tüten Haferdrink für die Kombination mit den 50 Litern Kaffee gedacht. Blöd, wenn dann nur noch eine dasteht. Der Literpreis von Kaffee ist im Verhältnis zu dem für Haferdrink viel zu gering (selbst beim ultrakrassen Bio-Fairtrade-Direktkooperativ-setztehierdeinLabelein-Kaffee können wir mit 1,30 € Kaffeepulver pro Liter rechnen). Daneben gab es Haferdrink damals nur in Verbundkartons, die alles andere als nachhaltig sind, weil sie nicht getrennt werden. Und obwohl Hafer in Brandenburg wächst, wurde damals kein regionales Produkt angeboten. Dem entgegen steht eine stetig wachsende Szene von Veganer*innen und Müllvermeider*innen, die schon lange auf einen regionalen Haferdrink in Glasflaschen wartete. Für mich klang das nach einem schlüssigen Setting, das ich gerne angehen wollte.

Tobi Rosswog: Was macht Havelmi* besonders?

Paavo Günther: Das oberste Ziel ist immer, ein konkurrenzfähiges Grundnahrungsmittel herzustellen, das Kuhmilch nicht nur ethisch und ökologisch, sondern auch geschmacklich und in der Weiterverarbeitung überlegen ist. Verwendet werden nur hochqualitative Zutaten in Bio(land)qualität. Dazu gehört neben regionalem Hafer und Öl auch das Solesalz aus der Steintherme Bad Belzig. Originell ist auch die Verpackung.

Als Genossenschaft verfolgen wir einen Zero Waste-Ansatz

Als Genossenschaft verfolgen wir einen Zero Waste-Ansatz. Das heißt, auf Wegwerfprodukte wie Getränkekartons zu verzichten und stattdessen Glas-Mehrwegflaschen zu verwenden. Als Deckel wird schon heute die zukunftsweisende Blueseal-Variante verwendet, die keine Weichmacher mehr enthält. Für das Etikett kommt ressourcensparendes Papier zum Einsatz.Besonders wichtig ist uns der inklusive Ansatz. So steht die Mitgliedschaft allen an der Wertschöpfungskette Beteiligten offen – von den Bäuer*innen bis hin zu den Prosument*innen Das Grundprinzip der Genossenschaft, die Förderung ihrer Mitglieder, steht auch hier an vorderster Stelle. Durch die möglichst breite Mitwirkung sollen die gemeinsame Meinungsbildung gestärkt und ein wichtiger Beitrag zu einer nachhaltigen Ernährung geleistet werden. Die Mitgliedschaft reicht von einer rein finanziellen Beteiligung ab drei Anteilen á 50 € über die flexible Unterstützung in einzelnen Bereichen bis hin zur Position im Aufsichtsrat oder langfristig einer eigenen Stelle im Unternehmen. Mitmachen kann jeder, die*der sich für regionale Wertschöpfung und Ernährung interessiert und einen Unterschied machen will. Deshalb haben wir kürzlich unseren Genossenschaftsrabatt eingeführt. Dieser gilt vor allem für Händler*innen. Sobald eine Händler*in Mitglied in der Genossenschaft wird, bekommt er*sie bei Bestellung bei unseren Großhandelspartnern einen Rabatt. Der liegt aktuell bei 6ct pro Flasche. Auf unserer Karte werden solche Mitgliedsläden farblich hervorgehoben angezeigt. Damit können auch Endkund*innen, die Mitglied der Genossenschaft sind, von dem Rabatt profitieren. In den entsprechenden Geschäften erhalten Sie auch einen reduzierten Preis beim Kauf von Havelmi. Um Mitglied zu werden, muss mensch die Dokumente unter diesem Link durchlesen und die Beitrittserklärung ausgefüllt per Post an unser Postfach schicken. Je nach Größe des Ladens gibt es eine Staffelung in der Mindestanzahl der zu erwerbenden Genossenschaftsanteile.

Meine Utopie ist eine Schenkwirtschaft, die Begriffe wie Eigentum, Arbeit, Hierarchien oder Speziezismus nicht mehr kennt.

Tobi Rosswog: Wie stellst Du Dir eine solidarische Ökonomie vor?

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Paavo Günther: Die Antwort auf diese Frage muss ich in zwei Teile fassen: 1. meine persönliche Utopie und 2. das, was ich für meine Lebzeiten als realistisch erreichbar betrachte.

1. Meine Utopie ist eine Schenkwirtschaft, die Begriffe wie Eigentum, Arbeit, Hierarchien oder Speziezismus nicht mehr kennt. Stattdessen werden die real verfügbaren Ressourcen aufgrund eines global etablierten Schlüssels an alle Lebewesen auf der Erde verteilt. Dieser Schlüssel ordnet selbst humanistische Werte einem holistischen Weltbild unter und setzt auch dem Wachstumsdrang (z.B. der Erdbevölkerung) Grenzen. Durch engagierte Bürgerbewegungen ist eine neue Form von Demokratie entstanden, die Produktionsprozesse unter die Entscheidungsgewalt derer stellt, die sie betreffen. Geld ist durch ein möglicherweise digitales Messsystem für altruistisches Handeln ersetzt worden. Durch die Einheiten darin können Bedarfe erfüllt werden, es gibt jedoch keinen Zwang zur Erfüllung. Daneben gibt es ein bedingungsloses Grundeinkommen in Form von Nahrung, Wohnraum und medizinischer Versorgung. Die Spezialisierung auf lebensdienliche Qualifikationen geht einher mit einer breiten Bildung in subsistentem Handeln (z.B. Reparatur, Selbst[an]bau, Tausch, Vernetzung). Wissen ist global verfügbar, aber lokal gespeichert. Urheberrechte, Lizenzen und Patente existieren nicht mehr. Stattdessen ist Konkurrenz in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer einer schlechten Angewohnheit geworden, so wie heute das Rauchen oder 2030 der Konsum von Fleisch. Maschinen werden in dem Maße eingesetzt, dass die sie benutzenden Menschen sie kontrollieren, in Gänze verstehen und reparieren können.

2. Nun zur real erreichbaren Version. Ich glaube an eine Bürgerbewegung, die die Politik zur Erreichung der Sustainable Development Goals zwingt. Realwirtschaftliche Labore, wie z.B. in Niko Paechs Postwachstumsökonomie vorgestellt, werden sich immer weiter ausbreiten. Irgendwann wird nicht nur ideologisch sondern auch strukturell gesellschaftsdienliches Verhalten belohnt (z.B. durch die gesetzliche Verankerung der Gemeinwohlökonomie oder eine CO2-Steuer). Kultur und die Befriedigung von Luxusbedürfnissen werden hinter der Bereitstellung einer lebenstauglichen Infrastruktur für die Weltbevölkerung zurückstehen müssen. Mobilität wird nicht mehr im heutigen Maßstab möglich sein. Die Green Economy wird noch in 30 Jahren versuchen, Ressourcenknappheit mit technischer Innovation und nicht mit Degrowth zu „bekämpfen“. Ich hoffe sehr, dass die Erdbevölkerung bis dahin aufgewacht ist. Es scheint für mich unausweichlich, dass viele diese Prozesse durch weitaus schlimmere Krisen als die uns bekannten eingeleitet werden und mit viel Leid einhergehen. Doch sobald auch in der westlichen Welt essentielle Ressourcen nicht mehr in ausreichendem Maße vorhanden sein werden, wird sich etwas bewegen.

Tobi Rosswog: Welche Wege können wir dahin gehen?

Paavo Günther: Ich sehe drei Möglichkeiten, die Welt zu einem lebenswerteren Ort zu machen:

  1. Suffizienz und Subsistenz. Durch die Reduktion unseres Ressourcenverbrauchs vermindern wir unseren individuellen ökologischen Fußabdruck. Dadurch müssen wir weniger arbeiten und haben mehr Zeit für Carearbeit, gelingende Beziehungen und ein lebenswertes Dasein Oder für 2. und 3..
  2. Engagement im System. Wir verringern unser Engagement in systemerhaltenden „Wohlfahrts-organisationen“ wie z.B. in der Unterstützung strukturell benachteiligter Menschen, dem Umweltschutz oder anderen Formen von Verteilung eines Produktionsüberschusses. Stattdessen schaffen wir aktiv Strukturen, die solche biophoben Prozesse ausschließen. Dazu zählen die Produktion bedürfnisorientierter klimapositiver Produkte, inklusive Firmenstrukturen wie z.B. Genossenschaften oder die Gestaltung demokratischer Prozesse durch eine breite bürgerliche Beteiligung.
  3. Engagement außerhalb des Systems. Da Gesetze leider nicht für alle natürlichen und juristischen Personen gleichermaßen gelten und angewandt werden, stellt sich zwangsweise die Frage, inwieweit sich der*die einzelne zur Erreichung höherer Ziele daran hält. Warum ziviler Ungehorsam ein unabdingbarer Teil von demokratischem Widerstand ist, zeigen z.B. das Containern oder Aktionen wie Ende Gelände. Je weiter sich die Ressourcenspirale Richtung Ende dreht, desto mehr zivilen Ungehorsam wird es meiner Ansicht nach brauchen, um einen möglichst großen Teil der Lebewesen auf diesem Planeten zu retten. Ganz allgemein habe ich für mich festgestellt, dass es wichtig ist, sich nicht aufzureiben. Besser, mensch macht nur ein oder höchstens zwei Projekte und kniet sich maximal dort rein. Dann reduzieren sich Koordinationsaufwand und Ressourcenverbrauch durch Parallelstrukturen. Zwar braucht es eine größere individuelle Resilienz (etwa, weil Erfolgsmomente und Enttäuschungen sich nicht auf mehrere Projekte verteilen). Aber der potentielle Impact wird ungemein maximiert, ebenso wie die Wissenstiefe und die Identifikation mit den eigenen Zielen.

Dieser Artikel ist mehr als ein Jahr alt. Es muss daher nicht sein, dass wir jedes einzelne Wort immer noch so schreiben würden wie damals. Wenn Fragen sind, kommentiere einfach zum Artikel, dann antworten wir Dir gerne.

8 Gedanken über “Genossenschaftliche, verpackungsfreie Bio-Hafermilch & mehr

  1. Sarah

    Den Anspruch Geräte, Materialien, Technik überall dort selbst reparieren können zu sollen, wo es geht, teile ich.
    Ich stelle mir eben die Frage, ob wir dann auch auf viele komplexe („nachhaltige“) Techniken verzichten müssten, weil eine nicht spezialisierte Person sie irgendwann nicht mehr durchschauen könnte, wie es zB bei Laptops der Fall ist. Ich weiß auch nicht, ob mein E-Bike von einem Heimwerker repariert werden könnte.
    Eine Abhängigkeit zwischen Produzent*innen und Nutzer*innen finde ich zwar auch nicht ideal, doch ich frage mich, ob eine Abhängigkeit in einer Vertrauensgesellschaft (auch eine Vision) nicht idealer wäre, als alltagserleichternde Praktiken nicht zuzulassen, die uns wiederum mehr Zeit und Freiraum für unsere Prioritäten (zB Bewegung, Soziales, Bildung, Muße, …) lassen würden.

  2. Avatar-FotoMichael Voit (geb. Hartl)

    Lieber Paavo, ich hoffe, Du liest hier mit und hast Zeit / Lust, mir zu antworten….

    Toll erstmal, was Du machst. Ich liebe es, wenn unternehmerisch gedacht, aber menschen- und werte-orientiert gehandelt wird. Das ist etwas, das auch ich in meiner Selbständigkeit immer mehr umzusetzen versuche. Danke also dafür, dass Du hier ein Vorbild und eine Inspiration bist.

    Ich hätte eine Frage zu der Verpackung…. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder mal das Argument gehört, dass Tetrapak ökologischer wäre als das Pfandflaschen-System, weil Pfandflaschen ja wieder gesammelt werden müssen, ein nicht unerhebliches Eigengewicht haben, dann wieder transportiert und aufwendig gereinigt werden müssen, etc.

    Ist da was dran? Oder ist es eh umgekehrt? Und kennst Du seriöse Quellen / Studien dazu?

    1. Paavo Günther

      Hallo Michael,

      danke für deine warmen Worte. :-)

      Bei der Pfandthematik ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Alles hängt von zahlreichen Faktoren ab (Anzahl der Umläufe, Distanz, Leerfahrten der LKWs, gemeinsame Liefersysteme etc.). Um das bis ins letzte Detail auszurechnen, bräuchten wir ein wirklich umfangreiches Nachhaltigkeitsmanagementsystem mit einem Emissionsrechner. Wenn dich das interessiert, schau mal bei Christian Hiß (https://www.oekom.de/buch/richtig-rechnen-9783865817495) oder dem Märkischen Landbrot (https://www.landbrot.de/oekologie/co2e-fussabdruck.html) vorbei, die haben da schon gute Modelle entwickelt. Solche Ansätze verfolgen wir auch, allerdings bindet das Tagesgeschäft unseres noch jungen Unternehmens sehr viele personelle Ressourcen. Dies ist daher eher ein mittel- bis langfristiges Projekt. Ich arbeite in meiner Masterarbeit jedoch an einer Gemeinwohlbilanzierung unserer Genossenschaft, da stecken auch schon einige Informationen dazu drinnen. Zur Frage der Quelle nach den 300 Km bzw. einer Gegenüberstellung gibt es eine Masterarbeit von Anna Jühe an der HNE mit dem Titel „Ist eine Umstellung auf Mehrwegflaschen für pflanzliche Milchalternativen sinnvoll?“

      Gern kannst du dich mit diesen Fragen auch in unserer Genossenschaft auseinandersetzen, wir freuen uns immer über neue aktive Mitglieder!

      Herzliche Grüße
      Paavo

  3. Sarah

    Ich fande den Beitrag, das dahinterstehende Weltbild, die Ideen und besonders die persönliche Utopie sehr bewegend und einsichtig.
    Ich habe lediglich eine Anmerkung zu der Zukunftsvision, dass Maschinen nur in dem Maße eingesetzt werden, wie die sie benutzenden Menschen sie wieder reparieren können. Ich denke, sofern wir langlebige und alltagserleichternde Maschinen in dem Maße produzieren und nutzen können, dass der Planet sich regenerieren kann und Menschen faire Arbeitsbedingungen bekommen, würde der technische Einsatz die Natur nicht stören, sondern könnte mit ihr Hand in Hand gehen. Mir ist natürlich klar, dass der Status quo da noch ganz anders aussieht. Heute werden immer hochkomplexere Maschinen gebaut, die nur von Expert*innen repariert werden können. Sofern es einfache Techniken für den gleichen technischen Zweck gibt, befürworte ich natürlich das. Doch solange das nicht möglich ist, finde ich es auch nicht verkehrt, wenn wir effiziente Maschinen einsetzen und in einer solidarisch-arbeitsteiligen Gesellschaft mit fairen „Handelsbeziehungen“ (oder Schenkwirtschaft) darauf vertrauen dürfen, dass andere Personen, als die Nutzer, die Maschinen reparieren. Da wären wir bei der Diskussion, ob wir dicht bei der ursprünglichen Natur bleiben möchten oder ob wir die Veränderung hin zu der erweiterten (technischen und sozialen und nachhaltigen) Zivilisation befürworten.

    1. Paavo Günther

      Hallo Sarah,

      danke für dein Feedback. In meinem ersten Satz der Beschreibung meiner persönlichen Utopie geht es um die Nichtexistenz von Hierarchien. Die von dir vorgeschlagene Arbeitsteilung basiert jedoch auf einer Wissenshierarchie. Dabei geht es weniger darum, dass es keine Spezialisierungen geben kann, sollte oder muss. Eher um die Frage, welche Abhängigkeiten zwischen Nutzer*innen und Produzent*innen bestehen. Das Modell der Prosumption fasst diese beiden Rollen zusammen (bzw. verwendet anstelle von Nutzung den Konsum). Das geht jedoch nur, wenn Technik beherrschbar ist, also jede*r selbst in der Hand hat, was er*sie nutzt. Wenn wir dorthin kommen, dass zur Nutzung auch die Wartung und Erhaltung von Funktion und des allgemeinen Zustands von geformter Materie gehört, stellt sich diese Frage gar nicht mehr. Dass andere Menschen („Expert*innen“) sich um diese notwendigen Arbeiten kümmern, ist in meinen Augen ein Anspruch der Dienstleistungsgesellschaft. Und gerade diese sehe ich in meiner Utopie eben nicht. Was meinst du?

      Herzliche Grüße
      Paavo

      1. Markus

        Ich denke, es wird immer eine gewisse „Wissenshierarchie“ geben. Allein schon deshalb, weil ein Mensch mit 50 Jahren im Regelfall viel mehr Erfahrung und auch Wissen angesammelt hat als ein Mensch mit 20 Jahren. Was macht man mit Menschen, die einfach „schlauer“ sind als andere? Dürfen die ihr wissen dann nicht voll ausspielen? Gerade Menschen, die mit Leidenschaft ihrer Berufung folgen inspirieren auch andere. Und solche Menschen lernen in einem Tempo, indem viele andere nicht mithalten können. Hier ergibt sich zwangsläufig ein Wissensgefälle. Wären solche Menschen dann die Elite auf ihrem Gebiet oder die neuen Parias? Zur Beherrschung von Technik möchte ich anmerken, daß unsere Gesellschaft sehr weit zurück gehen müsste, um dies zu verwirklichen. Als einfaches Beispiel möchte ich dazu einen Hammer anführen, gibt es in fast jedem Haushalt und die meisten können damit auch umgehen. Aber wer könnte heute so ein Werkzeug herstellen? Der Stiel ist ja noch recht einfach, jedoch der Hammerkopf? Wer vermag heute noch einen neuen zu schmieden?
        Das Konzept des globalen Verteilungsschlüssels hat mich schon erschreckt – solche Systeme haben in der Vergangenheit noch nie funktioniert (nicht mal innerhalb eines Staatsgebietes). Hier wäre es interessant zu erfahren, wer diesen Verteilungsschlüssel festlegt. Vielleicht kannst du das näher ausführen.

        LG

        1. Paavo Günther

          Hallo Markus,

          ich glaube, es gibt immer Unterschiede zwischen Herstellung, Reparatur, Nutzung, Umbau, Optimierung, Demontage… Für jeden Schritt das notwendige Wissen festzulegen oder zu erkennen übersteigt nicht nur meine Kompetenz, sondern auch meinen Anspruch. Das ist nicht die Aufgabe einzelner Menschen. Mir ging es eher darum, einen Ansatz für gelebte Prosumption vorzuschlagen, besser noch eine Diskussionsgrundlage.

          Das Beispiel des Hammers finde ich dennoch gut geeignet, um dazu etwas zu schreiben. Sicher kann nicht jede*r einen neuen Kopf schmieden. Das ist auch gar nicht effizient, weil es dafür bestimmte Maschinen braucht und die nicht jede*r haben muss. Selbst ein super luxeriöses Repair-Cafe kann nicht mit allem ausgestattet sein (obwohl 3D-Drucker schon sehr viele Möglichkeiten schaffen). Aber einen abgebrochenen Stiel zu ersetzen sollte den Nutzer*innen eines Hammers wohl zuzutrauen sein. Genauso sieht es für mich mit elektronischen Bauteilen aus (dazu eben die Anleitung in einem Repair-Cafe), Kleidung, Motorenbauteilen etc.. Es geht nicht darum, alles bis ins Detail zu kennen. Sondern um eine gewisse Neugier, Sicherheit im Umgang mit Werkzeug und Verbindungen zu den Leuten / Initiativen bzw. überhaupt um deren Existenz, damit Reparaturen möglich sind. Nicht zuletzt braucht es Open-Source-Technologie, damit jede*r in der Lage ist, beispielsweise im 3D-Drucker Ersatzteile herzustellen, wenn Firmen sie nicht (mehr) anbieten.

          Mit dem Verteilungsschlüssel nimmst du sicher Bezug z.B. auf den Sozialismus. Das stimmt, das finde ich auch sehr erschreckend. Andersrum funktioniert der Kapitalismus, so wie wir ihn haben, ja auch nicht. Sonst würde es keine externalisierten Kosten geben. Unter dem Strich bliebe also die Frage, welche Gesellschaftsordnung den geringsten sozialen und ökologischen Schaden anrichtet, wenn wir es schon defizitär betrachten wollen. Und da gibt es (gerade im utopischen Kontext) ja noch zig weitere Möglichkeiten. Was meinst du?

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