Eine Foodcoop (Food Cooperative, zu Deutsch: Lebensmittelkooperative) ist der Zusammenschluss von Personen und Haushalten, die selbstorganisiert biologische Produkte direkt von lokalen Bauernhöfen, Gärtnereien, Imkereien et cetera beziehen.
IG Foodcoops
Die letzten fünf Jahre habe ich eine wunderschöne Zeit im Südburgenland verbracht. Viel Natur und Sonne, wenig Autos und wenig Supermärkte. So idyllisch und ruhig unser Dorfleben dort war, um Lebensmittel einkaufen zu können, mussten wir lange Zeit mit dem Auto in die nächst größere Stadt fahren. Da ich in der Vergangenheit alle Einkäufe zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigen konnte, bestand bei mir der Wunsch, dies auch hier wieder zu tun.
Also schloss ich mich der Gründung der „Pinkataler Lebensmittel Einkaufsgemeinschaft“ an. Erreichbar mit dem Fahrrad, köstliches Obst, Gemüse, Getreide, Öl und weiteres aus der Region und viele tolle, gleichgesinnte Menschen! Unser Vereins-Obmann Matthias Gruber wird mir in diesem Artikel ein paar Fragen zum Konzept, zu den Vorteilen und zur Gründung einer Foodcoop beantworten.
Antonia Voit: Hi, kannst du dich und die „Pinkataler Lebensmittel Einkaufsgemeinschaft“ erst einmal kurz vorstellen?
Matthias Gruber: Hallo, ich bin Matthias, 33 Jahre, Sozialarbeiter! Ich wohne auf einem alten Bauernhof im Südburgenland, wo ich mich viel mit den Themen Gemüseanbau, Nachhaltigkeit, dem sozialen Miteinander und Naturverbindung beschäftige. Hier am Hof entstand vor rund 2 Jahren die Idee, eine Lebensmittelkooperative zu gründen. Dabei schlossen sich mehrere Haushalte zu einer Gruppe zusammen, um gesammelt Woche für Woche regionale, nachhaltig produzierte Lebensmittel zu beziehen. Mittels Online-Bestellsystem wird ermittelt, was die Mitglieder benötigen. Unsere Produzent*innen liefern dann die bestellte Ware jeweils freitags an unser Lager, welches wir bei uns am Hof in einem Nebengebäude eingerichtet haben. Hier holen die Vereinsmitglieder dann wöchentlich ihren Einkauf ab.
Antonia Voit: Was bedeutet das Konzept Foodcoop für dich?
Matthias Gruber: Ich persönlich bekomme durch eine Foodcoop die Möglichkeit, den Konsum meiner Lebensmittel bewusster zu gestalten; mir mein „Supermarktregal“ sozusagen selbst einzuräumen und mich dann auch selbstverantwortlich daran zu bedienen 😊
– Matthias Gruber, Pinkatal
Die Foodcoop als Treffpunkt für Gleichgesinnte
Antonia Voit: Was zeichnet eure Foodcoop besonders aus?
Matthias Gruber: Meine Wahrnehmung ist, dass es uns zu einem großen Teil um das wöchentliche Zusammenkommen von Gleichgesinnten im Abhollager geht. Hier findet neben der Abholung wertvoller Lebensmittel stets ein reger Austausch zu Themen statt, die weit über Ernährung, bewusster Konsum, Landwirtschaft et cetera hinausgehen. Unsere Coop ist schon längst mehr als nur ein Zusammenschluss von Menschen, die gemeinsam regional und nachhaltig produzierte Waren beziehen. Die wöchentlichen Treffen werden etwa ebenso dazu genutzt, um Kleidung zu tauschen, sich gegenseitig diverse Geräte und Maschinen zu borgen und/oder zu reparieren, Carsharing zu betreiben, Erziehungsthemen zu diskutieren, aber natürlich auch um gemeinsam die Idee im Allgemeinen und unseren Vereinsalltag weiterzuentwickeln.
Antonia Voit: Wie intensiv ist der Kontakt zwischen Konsument*innen und Produzent*innen?
Matthias Gruber: Ganz unterschiedlich. Generell sind wir mit den meisten Produzent*innen wöchentlich in irgendeiner Form im Austausch. Einige trifft man bei der Abholung, weil sie persönlich ihre Waren anliefern, Andere bei der von Mitgliedern organisierten Abholung im Betrieb. Der enge Kontakt ist für mich persönlich einer der schönsten und wertvollsten Aspekte einer Foodcoop. Aus diesem Grund organisieren wir auch sogenannte Speisereisen, bei denen wir die Betriebe unserer Produzent*innen besuchen und kennenlernen. Somit schaffen wir eine Transparenz, Augenhöhe zwischen Konsument*innen und Produzent*innen und erzeugen ein wertvolles gegenseitiges Lernfeld. Wir laden weiters auch jährlich all unsere Produzent*innen zu einem gemeinsamen Vereinsfest ein.
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– Matthias Gruber, Pinkatal
Antonia Voit: Was sind die Herausforderungen in eurer Foodcoop?
Matthias Gruber: Es geht in erster Linie viel um die ganz normalen gruppendynamische Prozesse. Für die laufenden Vereinstätigkeiten braucht es konstantes Engagement der Mitglieder. Bei uns wechselt sich das derzeit aber gut durch und es ist immer irgendjemand grad motiviert, was für die Gruppe beizutragen. Es gibt aber natürlich eine Art Kerngruppe, welche die Basis des Vereins darstellt und viele Tätigkeiten übernimmt.
Weiters sehen wir uns im Südburgenland schon auch damit konfrontiert, dass nicht alle Lebensmittel des täglichen Bedarfs auch regional produziert werden, was die Frage aufwirft, woher wir diese Produkte stattdessen beziehen.
Ebenso beschäftigt uns regelmäßig die goldene Frage, wer den Lagerdienst (Übernahme der Waren, Einschlichten der Produkte, Betreuung der Mitglieder bei der Abholung, Einheizen, Kaffee kochen et cetera) für die kommende Woche übernimmt. Da sind wir offenbar aber nicht die einzige Foodcoop, die sich damit konfrontiert sieht.
Irgendwo zwischen vollidealistisch und Vollsortiment
Antonia Voit: Gibt es Produkte, die ihr in der Foodcoop gerne hättet und die regional nicht produziert werden? Und wenn ja, wie könnte man als Foodcoop damit umgehen?
Matthias Gruber: Immer wieder tauchen Produktgruppen auf, die wir gerne hätten. Nicht zuletzt, weil wir ja ein sehr umfangreiches Angebot aus den Supermärkten gewohnt sind. Hartkäse wird beispielsweise in unserer Region einfach nicht hergestellt, trotzdem stellt es für viele ein Standardlebensmittel dar. Hier finden sich nach einiger Recherchearbeit jedoch gute Alternativen, im Fall des Käses ein genossenschaftlicher Zusammenschluss von Biobauern aus der Region Nockberge. Weiters war der Wunsch da, Südfrüchte wie Zitronen oder Orangen bzw. Reis gemeinschaftlich zu beziehen. Auch da gibt es unterstützenswerte Initiativen im nahen Ausland (z.B. Italien). Hierbei vernetzen wir uns standardmäßig mit andern Foodcoops in Österreich und organisieren eine große Sammelbestellung, die wir dann in Kooperation gemeinsam abwickeln.
Trotz alledem stellt sich für mich die Frage, ob wir überhaupt Lebensmittel beziehen müssen, die regional nicht verfügbar sind? Eine Auseinandersetzung mit dem regional Marktangebot relativiert hier oftmals vieles und schafft mehr Bewusstsein für dieses Thema. Ein sich ständig wandelnder aber spannender Dialog, den wir als Gruppe in der Foodcoop führen dürfen.
– Matthias Gruber, Pinkatal
Antonia Voit: Ist eine Foodcoop politisch?
Matthias Gruber: Die Frage ist, wann ist etwas nicht politisch? In Wahrheit ist ja jegliches, das Gemeinwesen betreffende Handeln politisch. So wie ich das sehe, betreiben wir aber eher Oppositionspolitik 😉, da Foodcoops, in der Art und Weise wie sie konsumieren, zumindest in Österreich noch die Ausnahme darstellen.
Corona und regionale Lebensmittelversorgung
Antonia Voit: Stichwort Corona und Ernährungssouveränität, kann da eine Foodcoop eine Rolle spielen?
Matthias Gruber: Ernährungssouveränität ist ein spannendes, in der Ursprungsidee, sehr politisches Konzept, das sehr weit greift. Eine Foodcoop könnte dorthin gehend ein sehr wirkungsvolles Werkzeug darstellen.
Spätestens seit wir uns mit Corona beschäftigen müssen, wird deutlich, wie einfach, unabhängig und frei unser Konzept der Nahrungsmittelbeschaffung ist und sein kann. Manchmal frage ich mich, warum nicht nur mehr so eingekauft wird. Aber wer weiß, für was das Jahr 2020/21 gut war. Es gibt immerhin schon mehr als 80 Kooperativen in Österreich, die teilweise auch untereinander schon kooperieren, gemeinsam bestellen, Netzwerktreffen abhalten und vieles mehr. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieses Netzwerk noch einen regen Zuwachs erlebt.
– Matthias Gruber, Pinkatal
Antonia Voit: Wie könnte man das Konzept einer Foodcoop einer breiteren Bevölkerung schmackhaft machen oder ist das gar nicht das Ziel?
Matthias Gruber: Es ist bestimmt nicht das Ziel aller, aber es geht schon immer darum, die Idee unter die Leute zu bringen. Das passiert zwangsläufig ohnehin automatisch. Unsere Foodcoop hat ihr Abhollager in einem Dorf mit 30 Häusern. Wir sind natürlich lange Thema Nummer Eins gewesen in der Region, oder sind es immer noch. Wichtig ist, dass die nicht mitwirkenden Menschen von außen sehen, dass es funktioniert. Dann kann Wandel stattfinden bzw. macht jede funktionierende Lebensmittelkooperative den Wandel sichtbar.
Unsere Foodcoop hat 2019 den Bio-Innovationspreis in der Kategorie „Leuchtturmprojekte“ gewonnen und viel Lob und Zuspruch erhalten. Die Bürgermeisterin einer größeren Stadt im Burgenland hat mich nach der Preisverleihung angesprochen und gemeint, man brauche sowas unbedingt in ihrer Gemeinde und überhaupt überall und ob ich einen Vortrag dazu halten möge in ihrer Gemeinde. Jedoch hörte ich danach nichts mehr von ihr.
Ich denke dieser „Raum“ zwischen Inspiration durch die Idee und praktischer Umsetzung wird noch nicht ausreichend genutzt. Hier brauchts noch mehr Tools, Konzepte, Mitwirkende, die genau dann präsent werden, wenn sich dieser besagte Raum öffnet, eben um zu verhindern, dass die glühende Inspiration wieder erlischt.
Für das konkrete Beispiel mit der Bürgermeisterin also beispielsweise eine konkrete Möglichkeit für mich, sie mit einem Team zu vernetzen, welches Gründungen von Kooperativen vor Ort unterstützt und fördert, z.B. mittels Vorträgen, Bereitstellung von Infomaterial, Coaching, Vernetzung mit Partnern, Produzent*innen und vielem mehr! Gäbe es die Möglichkeit, Personen dafür zu bezahlen, wär wohl schnell eine Gruppe an engagierten Menschen gefunden, die durch Österreich tourt und den Wandel vollzieht.
– Matthias Gruber, Pinkatal
Wie gründet man eine Foodcoop?
Antonia Voit: Wo habt ihr Unterstützung bei der Gründung (Infomaterial, Software etc.) bekommen?
Matthias Gruber: Wir haben vor der Gründung einige Kooperativen besucht, an deren Plena teilgenommen, Lager besichtigt und ebenso unsere persönliche Vorerfahrungen eingesammelt. Weiters gibt es ein ausgezeichnetes Handbuch für Foodcoops, zur Verfügung gestellt von BIOAUSTRIA! Mittlerweile findet man auch im Internet unter www.foodcoops.at (Anm. der Red. in DL www.foodcoops.de oder www.food-coop-einstieg.de und in der Schweiz www.foodcoops.ch) eine Vielzahl an Informationen. Die Software wurde uns von der IG Foodcoops (Interessensvertretung für alle Foodcoops in Ö) zur Verfügung gestellt, welche diese auch hostet.
Antonia Voit: Was braucht es, um eine Foodcoop zu gründen?
Matthias Gruber: Jedenfalls eine gewisse Form des Bewusstseins für den Bezug von Lebensmitteln und der persönlichen Ernährung und die Motivation, Eigenverantwortung dafür zu übernehmen. Wenn sich dann eine gewisse Anzahl an Personen (ca. 5-10) zusammenschließt, um diese Idee in die Praxis umzusetzen und das Wissen zur Gründung einer Lebensmittelkooperative verfügbar ist, steht einer Umsetzung nichts mehr im Wege. Materielle Notwendigkeiten wie Räumlichkeiten, finanzielle Mittel, Möbel fürs Lager etc. stellen im Grunde eine Nebensächlichkeit dar, wenngleich das zunächst schnell als Hürde gesehen wird. Meine Erfahrung ist, dass, wenn gemeinsam ein Ziel verfolgt wird, von dem alle überzeugt sind, sich alles andere von alleine ergibt.
Lieber Matthias, vielen Dank für deine Antworten und viel Freude noch mit eurer Foodcoop!
In diesem Video gibt es noch weitere Eindrücke aus unserer Pinkataler Lebensmittel Einkaufsgemeinschaft.
Wenn ihr jetzt Lust bekommen habt, auch Teil einer Foodcoop zu werden, dann schaut doch mal im Verzeichnis der Foodcoops (auf obengenannten Websites) nach, ob es in eurer Region bereits eine gibt. Und wenn nicht, dann vernetzt euch mit Gleichgesinnten und gründet eine! Gerne auch hier über die Kommentare 😊